Kopulationskulturhistorische Betrachtungen


Mittwoch

Sitzbänke gibt es wohl zu Tausenden in der Stadt. Sie fügen sich als U-Bahneingangseinhausung in das allgemein leicht verdauliche Bild des Alex ein, sie stehen streng preußisch aufgereiht unter den Linden und rahmen im Tiergarten die Skulpturen ein. Es gibt aber nur wenige Bänke, die tatsächlich exklusiven Ausblick versprechen. Eine steht im Volkspark Friedrichshain, völlig vergessen von jeglichen Ämtern und stärker frequentiert als die Käsetheke im KaDeWe.

Müde Wanderer, deren Ziel der Gipfel der Lust ist, ruhen sich auf ihrem beschwerlichen Marsch dort aus, manchmal dient diese Bank selbst als Gipfelkreuz. Neben all dem profanen Gefummel und gedrücktem Gestöhne offenbart sich die Sitzgelegenheit aber als ein Ort des Gesprächs. Folgendes konnte man mittwochs belauschen:

„Ach, Du auch wieder hier?“
– Na klar, wo sonst bekommt man noch ’ne Show umsonst!
„Ja ja, alle kommen s’e nuuuur um zu gucken!“
– Na wegen Sex kann’s ja wohl nicht sein, hier is‘ wieder nur Gelaufe und die üblichen Verdächtigen, Du bist ja auch wieder hier!
„Stümmt…“
– Jetzt setz‘ Dich her und rauch‘ einen mit!
„Hab ja eh nüscht Besseres zu tun…“

„Stell Dir vor: Letzte Woche saß ich hier, plötzlich raschelt’s und zwei Omas kommen ausm Gebüsch! Die waren genauso erstaunt wie ich! O Gott, wenn ich grad was am Laufen gehabt hätte!“
– Jogger kommen hier regelmäßig durch, sind auch schon Kinderwägen hier durchgeschoben worden…, überall werden Schilder aufgestellt, nur hier wird nicht vorm öffentlichen Personennahverkehr gewarnt…
„Das is hier wirklich nicht mehr feierlich, was?“
– Sind halt die letzten Tage vom Friedrichshain…
„Wie meinste das?“
– Kannste Dich noch an das Gelände erinnern, wo jetzt die Prenzlauer Gärten draufstehen? Mit dem Trafohäuschen, der Freiluftreppe und dem alten Autowrack?
„Die überwucherte Brache, die rund um die Uhr offen hatte?“
– Genau die! Das war ein paradiesischer, kleiner Garten und heute steht Beton drauf!
„Das is’n echter Jammer…, Märchenbrunnen is‘ ja nach der Sanierung auch tot!“
– Und die Tuntenwiese gibt’s auch nicht mehr…
„Stimmt, da war ja mal eine! Heute gibt’s da ja eher Kindergeburtstag als Zickenterror.“
– Und deswegen drücken sich jetzt hier alle rum…, sind einfach zu viele…, deswegen läuft nix mehr und wird auch nix mehr laufen…, deswegen sag ich: Die letzten Tage vom Friedrichshain, der Freiraum hier geht flöten. Vielleicht steht die Bank hier ja mal eines Tages im Schwulen Museum. So als Mahnmal für die verlorenen Orte…
„Pessimist!“
– Ich weiß…

Al


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