Der Kapitalismuskongress von attac
Die zentrale Frage des Kongresses kreiste um das Thema Kapitalismus reformieren oder abschaffen?– interessant daran, dass Jeder diese Frage aufnahm und beantwortete.
Die Zeit des Neoliberalismus scheint endgültig vorbei. Nichts mehr von…, wir sitzen alle am selben Tisch und machen da ein wenig governance zusammen. Governance ist tot, es lebe die Krise! Ihre Meinung bitte, zum 1., zum 2. und Schlag bumm aus. Ihr Einsatz, Ihr Gebot – im Strudel des Spiels ist alles möglich! Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Egal welche Meinung – die Hauptsache: Du spielst noch mit. Aber durch das Spiel scheint sich doch die eigentliche Frage bereits ihren Weg gebahnt zu haben: Kapitalismus – Sein oder nicht Sein?
Fast könnte man es als die Vorstufe der Beschwörung der Klassenfrage auf hohem Niveau bezeichnen. „Sag mir, wo Du stehst.“ Geht man nach der Auswahl und auch der exponierten Stellung einiger Referenten im Programm, so bevorzugten die offiziellen Organisatoren den Reformansatz. So begann der Kongress mit dem Auftaktreferat eines ehemaligen Staatssekretärs aus der rot-grünen Regierungszeit, der verkündete, „…es ist nicht der Kapitalismus an sich, sondern die Gier…“, und er schloss sich unmittelbar an die offizielle Kampagne von attac an, wenn er sagte: „(…) jedes einzelne Teil des Casinos muss geschlossen werden (…)“
Saskia Sassen war da schon wesentlich klarer in ihrer Einschätzung, indem sie betonte, dass es keine finanzielle Lösung für diese Krise geben wird. Für sie ist die Armut die eigentliche Bedrohung. „Wir werden das System nicht einfach so lösen, die Krise hilft uns.“ (autsch) Für sie sind die Rentenfonds ein großes Problem. (Vielleicht in dem Sinne, dass jeder, der Lohnarbeit macht, damit auch gebunden ist an das Finanzmarktsystem des Kapitalismus? Die Grenze zwischen „Ich bin noch drin – Du bist schon draußen“, vielleicht der heutige Verlauf des Klassenantagonismus? „Hups bin ich schon draußen.“)
Alexander Buzgalin aus Moskau betonte die gesellschaftliche Krise und „…in Russland hat man Angst vor morgen“. Er ging nicht darauf ein, wer dort mehr vor wem Angst hat. Und auch ein Besuch des Podiums „Endzeit Kapitalismus“ mit drei russischen Professoren aus der Akademie der Wissenschaften in Moskau ließ einen in den Sprachduktus der 80er Jahre hineinfallen – und dort ganz schnell wieder herauseilen.
Einzig Daniela Dahn stellte die Systemfrage auf dem Eröffnungspodium. „Nein, es gibt keine systemimmanente Lösung.“ Woraufhin Saskia Sassen die Bänker ins Gefängnis schmeißen wollte und Alexander aus Moskau niemandem Geld zurückzahlen, das er verloren hat.
Programmatisch auf dem Eröffnungsplenum kann man die Rolle von Bsirske sehen. Er kritisierte die Krise: „(…) ein schwarzes Loch; niemand hat mehr einen Überblick.“ Und er antwortete nicht auf die Frage des Moderators, welche Rolle dabei die Gewerkschaft spielte. Dafür diente er sich bei den Grünen an: „Wir brauchen den New Deal, ohne den Kapitalismus aufzuheben.“ Zum Schluss musste er noch auf seine professionellen, aber begrenzten Möglichkeiten hinweisen, indem er betonte, sie seien keine Mehrheitsbeschaffer und darum organisieren sie die Demo im Mai – und die im März, nein da wollen sie nicht unterstützen, sie machen eine Demo und die richtig und verzetteln sich nicht. Aber immerhin ließ er sich beim Weggehen, – zwei Biere später – noch in ein Gespräch am Ausgang verwickeln, um sympathisch seine Haltung rüberzubringen. Nein, überheblich ist er nicht, eher volkstümlich wie Genosse Pieck.
Man bekam dann noch sehr viel Input zu den Höhen der Geldsummen und dem Drama der Krise. Kurzgefasst ist die Höhe der Schulden ein Mehrfaches des Wertes der wertschöpfenden Arbeit weltweit. (Vielleicht ist einfach die wertschöpfende Arbeit zu billig?) Und vorausgesetzt, man sähe die wertschöpfende Arbeit als Lohnarbeit. Da machte Frigga Haug einen Aufschlag, indem sie die Arbeit in vier Bereiche teilte und dabei die Lohnarbeit als nur einen der vier Bereiche auf vier Stunden begrenzte „Teilzeitarbeit für jedermann“.
Altvater sagte die Inflation voraus. Und in der Tat scheint der Finanzmarktkapitalismus seinem Ende zuzusteuern. Die Rolle des Geldes um die wertschöpfende Arbeit zu vergleichen – okay, die wird bleiben. Aber wie wird die Krise zu gestalten sein und von wem? Leider gab es wenig Inputs über Akteure – Klassenlagen, scheinbar ein Fremdwort. Und so wurde auch ein Bild der Angst gemalt, wenn z. B. Sven Giegold vor den Rechten warnte. Dass Ralf Fücks von den Grünen den New Deal verteidigte, ist nicht der Erwähnung wert, vielleicht nur, dass er vom großen Sprung in diesem Zusammenhang sprach.
Oh Mann/Frau, hättet ihr nicht damals stärker mit den Maoisten in die Diskussion kommen können!? Oder ist es nicht sein maoistisches Herz, sondern eher seine Rolle im System, in der er sich eingerichtet hat und die den New Deal als Sprung fühlen muss, um sich vor der Apathie zu bewahren. Ulli Brandt ließ ihm das jedenfalls nicht durchgehen und diskutierte in seiner charmant jungenhaften, kapitalismuskritischen Art dagegen. Noch betonend, dass er auch als Professor den Zwängen des Kapitalismus jeden Tag ausgesetzt ist. Oh je, Entfremdung und Spaltung soweit das Auge blickt.
Noch zwei Bemerkungen zu diesem Thema: Altvater hat auch in der Krise den Durchblick, danach müssen wir uns echt mehr damit beschäftigen, was hier noch passiert. Von alleine wird sich diese Endphase des staatsmonopolistischen Finanzkapitalismus nicht in eine neue Qualität umschlagen lassen. Leider hat Sven Giegold meine Frage nicht beantwortet, was er denn macht, wenn er im Europäischen Parlament an seinem New Deal sitzt und die NATO zur Aufstandsbekämpfung übergehen wird.
Und Geißler bekam im Abschlussplenum sehr viel Raum, um seine Thesen vorzustellen und auch erschreckend viel Beifall, wenn er betonte, es ist das Kapital und nicht der Kapitalismus – oder war es andersrum.
Vielleicht ist es der Wunsch nach Harmonie, der die Mehrheit der Besucher des Kongresses eher Geißler und Bsirske zuklatschten ließ als Haug. Oder Altvater, der wiederum auf einem großen Podium gar nicht zu hören war, sondern nur in einem kleinen Seminarraum, der allerdings so voll war, dass es mir schien, als ob die drinnen gleich an Sauerstoffmangel sterben und die draußen an Unwissenheit.
Vielleicht aber ist es auch die innere Spaltung, der ganz alltägliche Wahnsinn des Kapitalismus mit seinen täglichen Entfremdungen und alltäglichen Zukunftsängsten, der nach dem Wunsche Wir alle sitzen im selben Boot strebt. Das tun wir ja in der Tat auch. Aber die Vision vom Reich der Freiheit (nach dem wirklichen Sprung aus dem Reich der Notwendigkeit) braucht eben auch den klaren Blick. Die schon rausgefallen oder nie drin gewesen sind, werden schneller im selben Boot sich einfinden können und klar sehen, wenn wir den Raum dazu ermöglichen. Ja, lasst uns erst nach einem geeigneten Raum suchen, indem wir uns einrichten und einander zuhören können, ohne dass die Einen zu wenig Luft und die anderen zu wenig Wissen haben.
Und so tat es gut, zu wissen, dass die Frauen unweit vom Tagungsort des Kongresses den Zusammenhang von Militanz und Gesellschaft am 8. März zum eigentlichen Thema machten. Rosa, Clara und meine Oma hätten sich gefreut – und Mischa Ludmilla weiß noch nichts davon.
Zum Schluss die gute Nachricht vom Kongress: In Workshops wurde über Alternativen geredet und es wurden Verabredungen getroffen. So z. B. vernetzten sich die Antiprivatisierungsinitiativen und planen einen gemeinsamen Aktionstag, an dem sie die Rathäuser besetzen und alle Zahlungen für Cross-Border-Leasing-Geschäfte stoppen wollen. Ein Teil des Geldes, das dann frei wird, soll für eine Servicestelle eingesetzt werden, damit alle Infos und Aktionen zentral aufbereitet und für jede Ini im Kampf gegen Privatisierung abrufbar werden. Und am 28. März gehe ich mit dem Transparent
Das Wasser, die Erde, die Sonne und Du
sind alle nicht käuflich
wenn wir es so wollen!
Aufgeschrieben und zusammengeträumt von der Osthexe.