Neoliberalismus in der Krise: Carl Wechselberg gibt auf


Der Böse Wolf erklärt Berlin

Wenn Berufspolitiker außerhalb ihrer Büroräume unbeliebt sind, sie keine besonders herausragende Position haben, sie aber kaltschnäuzig genug sind, ihrem Chef den Rücken frei zu halten, sie sich den Medien gegenüber immer irgendwie als Außenseiter verkaufen – dann nennt man sie „Pragmatiker“. Wenn sie zudem positionsbedingt irgendetwas mit Zahlen und Tabellen zu tun haben, dann nennt man sie, unabhängig von der tatsächlichen Qualifikation, „Haushaltsexperten“. Was der Berliner SPD Thilo Sarrazin, der CDU Friedrich Merz und den Grünen Oswald Metzger war, das war der Berliner DIE LINKE Carl Wechselberg.

Wechselberg ließ Ende April per Berliner Morgenpost verkünden, dass er seine Ämter im Abgeordnetenhaus von Berlin niederlegen würde und sich ganz ordentlich über seine Partei geärgert habe. Diese würde ihm irgendwie zu weit nach links schwenken. Das ist vielleicht für die Berliner LINKE überraschend, aber eigentlich könnte man so eine Ausrichtung schon von einer Partei erwarten, die DIE LINKE heißt. Wie dem auch sei, politisch gehört Wechselberg zum Berliner LINKE-Filz um Harald und Udo Wolf, Stefan Liebich und Klaus Lederer, also denjenigen, die ihren Platz auf dem Katzentisch der SPD als berauschende Erfüllung ihrer politischen Träume sehen. Als ehemaliger Mitarbeiter von Harald Wolf folgte er diesem 2003 als haushaltspolitischer Sprecher und galt seitdem qua Position als Haushaltsexperte.

Das Expertentum von Wechselberg in Haushaltsfragen bestand in dem, was „finanzpolitische Konsolidierung“ genannt wird. Also in der ständigen Verteidigung, Rechtfertigung und Beschönigung von Sarrazins Kahlschlagpolitik ohne die Verschwendung eines Gedankens an die sozialen Folgen. So ist es kein Wunder, dass sich Wechselberg laut Presseberichten „resigniert“ zeigte, weil die Bundespartei der DIE LINKE eine Erhöhung des HartzIV-Regelsatzes auf 500 Euro fordert.

In seinem politischen Lebenslauf ist zu lesen, dass er sich als „Aufklärer“ im Berliner Bankenskandal hervorgetan habe. Während dieser Aufklärungsarbeit stellte er sich u. a. auf die Seite der Fondszeichner, die von der Bankgesellschaft unverschämte Garantien zugesprochen bekamen und die der rot-rote Senat während seiner „Risikoabschirmung“ dem Land Berlin aufbürdete. Man dürfe Bankern, Unternehmern, Professoren und Ärzten keine Vorwürfe machen, schließlich hätten sie nur in eine hübsche Altersvorsorge investiert. Die „Risikoabschirmung“ sei „alternativlos“ gewesen, sagte Wechselberg einst in einem Interview. Schließlich habe man alles ganz genau geprüft. Der Experte Wechselberg verließ sich bei seiner Prüfung allerdings auf Manager der Bankgesellschaft und „externe Berater“. Zu diesen Beratern gehörte bspw. die Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer, die die „Risikoabschirmung“ in einem Gutachten als unbedingt notwendig darstellte. Damit hatte sich diese Kanzlei gleich einige Folgeaufträge gesichert, der aus der Bankenrettung resultierende Verkauf der Berliner Sparkasse samt Privatisierungsoption wurde ebenfalls von dieser Kanzlei juristisch begleitet.

An diesem Punkt können wir allerdings feststellen, dass es sich bei Wechselberg tatsächlich um einen „realistischen“ Politiker handelt. Denn in der Realpolitik passiert es allzu oft, dass sich Politiker von irgendwelchen Beratern ihre Entscheidungen vorkauen lassen. Allerdings: Das Missverständnis von Wechselberg und Co. besteht ja seit langem in der Auffassung, dass man mit solcher „realistischen Politik“ einen Blumentopf gewinnen könne. Dummerweise machen schon andere Parteien „realistische Politik“ (SPD, CDU, FDP, Grüne) eine „realistische“ LINKE ist demnach völlig überflüssig. Das zeigt sich ja in Berlin. Hier haben Wechselberg und Co. ja schon geschafft zum links wippenden Wurmfortsatz der SPD zu werden. Aber vielleicht wird jetzt alles besser, wenn Wechselberg keine Politik mehr macht – das wäre was.

Benedict Ugarte Chacón


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