Der Mauerpark als Spielwiese


Warum „Unansehnliches“ unerträglich und zwingend zu beseitigen ist

Ein Ort, der nicht mehr mit vertrauten, erprobten und durchaus gewöhnlichen gesellschaftlichen Strukturen und Prozessen belegt ist, hat keine Existenzberechtigung in einer überaus verwertungsgesteuerten Gesellschaft. Er ist das Negativ einer auf Nutzbarmachung und Zweckbestimmtheit ausgerichteten Denk- und Handlungsweise. Solch ein Umstand – mitten im urbanen Raum – gilt es alsbald zu entfernen. Verschiedenste soziale Gruppen und Milieus unternehmen Versuche der Integration. Der Prozess der Rückeroberung verlorener Gebiete beginnt. Neuland entsteht während dieses Vorgangs allerdings keines – wie auch, wenn es bereits vorhanden war, als unansehnlich und wertlos klassifiziert und abgetan wurde. Die Beschlüsse liegen vor: Die Einen wollen Häuser, die Anderen wollen Rasen – so soll es sein.

Es mag verwundern und schockieren, auf funktionslose, sich selbst überlassene Orte inmitten starker Verdichtungsräume zu treffen. Denn die konzeptionelle, zwanghafte Enge der Steinernen Stadt gestattet nun einmal kein Ausscheren im Denken und Handeln. Demnach können die Bruchstellen – Ruinen und Brachen – Berlins, die an vielen Ecken vorhanden und zu sehen sind, überhaupt gar nicht erfasst und in ihren Eigenschaften erkannt werden. Stattdessen wird unermüdlich in geistiger Enge verfahren und das Bemühen unternommen, einen kontrollierbaren Zustand auf diesen Gebieten zu reaktivieren – speziell im Mauerpark: Eine beherrschbare Installation zur Stärkung (Bebauung) bzw. Überwindung (Grünfläche) strukturell geschaffener sozialer Parallelität.

Die Orte der Leere verkörpern Prozesse praktischer und symbolischer Entstrukturierung – sie zeigen Gegebenheiten, die keine lückenlose und widerspruchsfreie Projektion erlauben. Niemand spiegelt sich gerne in verrufenen, degradierten und verwundeten (Stadt-) Räumen – ein Verhältnis scheint nicht möglich, denn es impliziert eine zu massive Hinterfragung der Konzeption moderner Gesellschaft, die nach wie vor von Wachstumsbestreben und Erwerbsarbeitsfetischismus heimgesucht wird. Ein Gebiet wie das am Mauerpark ist Kehrseite und Konsequenz der Wachstumsorientierungen, es handelt sich um eine offene Stelle, die durch Abwesenheit und fehlende Ablenkungen (Werbung und Menschen) gekennzeichnet ist.

Leere und Lücke im urbanen Raum sind ein wertvoller, bedrohter und auch bedrohender Optionsraum, in dem es nicht um Aneignung, sondern um Austausch geht. Weder Dauerhaftigkeit noch überbordende Raumvorstellungen – die Einen wollen ihre Ideen in Beton gießen, die Anderen wollen die ihnen widerstrebenden und unansehnlichen Verhältnisse unter einen Rasenteppich kehren – erscheinen angebracht. Vielmehr handelt es sich um einen Raum, der frei bleiben muss, um prekäre Transformationen in erweiterte Denkformationen zu ermöglichen – ein Raum sichtbarer Widersprüche, der eine konfrontierende Wirkung provoziert.

Nichts ist leichter, als einen Ort mit fremden, an ihn herangetragenen Vorstellungen zu bedrängen und sein Wesen in Folge einer Vereinheitlichung und Beschönigung zu vernichten. Am Ende freuen sich die Initiatoren – wer auch immer siegen wird – über die Durchsetzung ihrer Raumkonzeption. Über die bis dato vorhandene Zwischen-Welt wird dann einfach nicht mehr gesprochen, da sie unbegreiflich und andersartig blieb. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Die andere Person


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