Relikte der Zukunft


Die baulichen Reste der Nachkriegsmoderne sind Träger gesellschaftlicher Prozesse und Positionen, die vom Wachstum und vom Glauben an eine bessere Zukunft zeugen. Diese Eigenschaften sind und bleiben Grundlage ihrer Konzeption. Die substanziellen Angriffe, die von der Verunstaltung bis hin zum Verschwinden der Bauten reichen, mindern ihr Ansehen und fördern ihre Ablehnung. Die Anwesenheit der Moderne wird in Zeiten fortschreitender gesellschaftlicher Starrheit und traditionsorientierter Substanzlosigkeit zur untragbaren Last.

Der Umstand, dass das Besondere gequält, misshandelt, deformiert und schließlich gesellschaftlich legitimiert zur Hinrichtung geführt wird, ist die Vorbedingung meiner Arbeit. Defizitäre Gesellschaftsräume und in Funktionslosigkeit schwebende Restsubstanzen eignen sich bestens, im Rahmen einer Neudeutung aufgegriffen zu werden. Denn ihre Bedeutungszusammenhänge und Wertigkeiten sind aufgeweicht und fragmentiert. Dieser Vorgang ermöglicht es mir, die Bauten der Moderne in zukünftige gesellschaftliche Zustände zu transformieren. Es entstehen photographische Zeitfenster.

Die Inszenierung von Oberflächen qua konzentrierter Blickpunkte führt zur Enthüllung des essentiellen Wesens dieser Bauten – die Ideen unendlicher Weite an Raum und Zeit treten in Erscheinung. Die photographischen Zeitfenster erzeugen eine Vorstellung von Gesellschaft, die längst in ihr Gegenteil verkehrt wurde. Jene Umkehrung bildet das Fundament für die Transformation der Bauten der Moderne zu generalisierten Bewusstseinslagen kommender Gesellschaftsräume. Die offensichtliche Wucherung von Prozessen und Momenten der Entleerung, der Entbundenheit und der Nutzlosigkeit machen sie erneut zu Boten gegenwärtiger und künftiger Konzepte der Raumproduktion. Das Fehlen von Zukunft, die Schließung von Gesellschaftsräumen, das Anwachsen isoliert vegetierender Geiseln, die Zunahme der Verrohung von Gedanken, Möglichkeiten und Handlungsweisen ist am aktuellen Umgang mit den Gebäuden der Moderne zu erkennen. Allen voran verschwinden insbesondere die Bauten und Räume, die ein schier unerschöpfliches Potential an Zukunftsüberlegungen beinhalten, aus dem Kulturfeld dieser Gesellschaft.

Sie sind Relikte der Zukunft, denn sie symbolisieren Zukunft im doppelten Sinne: Zum einen die visionären Ideen ihrer Konzeption, zum anderen die Prozesse der Abwesenheit und der Funktionslosigkeit in jüngst erzeugten Gesellschaftsbereichen. Diese konträren Ordnungskonzepte in einem Bild sichtbar zu machen, ermöglicht einen bedeutsamen Vorgriff auf eine Gesellschaftslage, die durch Funktionslücken, Substanzlosigkeit, Desorientierung und Mangel an Raum, Zeit und Optionen den Menschen isoliert, niederknüpplt und erstickt.

Die andere Person


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