Das letzte Haus in der Sophienstraße in Berlin Mitte wird nun auch luxussaniert. Und was passiert mit den Mietern?
Tagebuch einer Verdrängung
Obwohl dieses Ereignis irgendwann kommen musste, war es dann doch ein Schock. Der Brief, der mir mitteilte, mein Haus ist verkauft! An die Prime Development Residential GmbH mit dem Geschäftsführer Yves Jachimowicz, geschäftsansässig am Savignyplatz.
Nun durfte also auch ich die Bekanntschaft mit einem der ganz großen Immobilienfonds machen, einer der bereits bei Mediaspree das MTV Gebäude sanierte und noch so viele andere Objekte aufgewertet hatte. Kurz musste ich mich auf meine Mieterrechte besinnen, „Kauf bricht Mietvertrag nicht“, um nicht in Panik zu verfallen. Aber gaben die Mieterrechte wirklich noch so viel Schutz, dass ich mich gegen die allgegenwärtige Macht der Immobilienhaie wirklich wehren könnte?
Die Hausverwaltung „Schön und Sever“ teilte mir im selben Brief mit, dass sie vom Eigentümer beauftragt sind und uns demnächst besuchen kommen möchten und sich sehr freuen würden, wenn wir sie in unseren Wohnungen empfangen würden. Ich wüsste nicht, warum ich mich über einen Besuch freuen sollte und also beschloss ich, an diesem Abend nicht da zu sein.
Einige Tage später traf ich Frau Sonnenschein, eine Nachbarin, vor dem Haus. Sie wohnt seit Ende der 60er Jahre hier und hat ohne Zweifel die längsten Rechte an diesem Haus.
„Na, schöne Scheiße, was sagst de?“
„Ich, gar nichts, bin nicht da, wenn er kommt, hab kein Gesprächsbedarf.“
„Oh man, das kannste doch nicht machen.“
„Soll ich da sein?“
„Ja, klar.“
„Na dann komm ich zu dir runter, dann warten wir gemeinsam.“
„Ja, komm mal runter, warten wir vor der Tür auf ihn.“
Einen Tag vor dem angekündigten Besuch dachte ich so bei mir, vielleicht haben wir alle dies Gefühl von „Oh Gott, was wird jetzt“, so zwischen Neugier und Angst, und würden alle gern gemeinsam vor der Tür warten. Also schrieb ich ein Plakat:
WIR ERWARTEN DEN VERTRETER
UNSERES EIGENTÜMERS HEUTE
GEMEINSAM VOR DER TÜR:
WER AUCH NICHT ALLEINE BLEIBEN WILL …
AUßERDEM: TIPPS
WIE BEHALTE ICH MEINE WOHNUNG
und machte das Plakat noch nachts an der Haustür an, mit Aufklebern vom Mietenstoppbündnis „Steigende Mieten stoppen“.
Am Abend dann, vor der Tür. Wusste gar nicht, dass wir so viele Mieter mit unbefristeten Mietverträgen sind. Die Studentin mit ihrem Freund aus Kolumbien war mir nie aufgefallen, obwohl sie auch schon seit 3 Jahren hier wohnen. In der letzten Zeit hatte die Erbengemeinschaft Zeitverträge an WGs vergeben, darum gab es ein ständiges Kommen und Gehen. Eine Amerikanerin sagte mal zu mir, als ich bei ihr Kaffee trank, „… da drüben in der Fünfundzwanzigsten, ach nee, wir sind hier ja Berlin …“. Damals dachte ich, oauh Metropole, find ich gut …
Ja, jetzt standen wir gemeinsam vor der Tür. Man tauschte Infos und war überrascht, wie lange man schon in einem Haus wohnte und doch so wenig voneinander wusste. Das also hatte der neue Eigentümer schon erreicht, wir lernten uns kennen …
Nach über einer Stunde, jemand wollte gerade Bier runter holen, fragten wir uns, ob der neue Hausverwalter nicht längst an uns vorbei gegangen sei, weil wir als offensichtlich laute Hausbewohnerschaft hier gemeinsam vor der Tür auf ihn warteten? Aber gerade, als wir uns immer weiter in unsere scheinbar abschreckende Wirkung hineinredeten und fast glaubten, die Luxussanierung schon verhindert zu haben, stand er plötzlich freundlich und offen vor uns. „Guten Tag, ich bin Herr Sever, sie warten schon auf mich?“ Sprachlosigkeit machte sich breit. So freundlich …, kann der Böses im Schilde führen?
Zunächst bittet er uns, doch gemeinsam auf den Hof zu gehen und bedankt sich, dass er nun alles nur einmal erzählen braucht. Wir waren gespannt. Ja, hier wird alles saniert, ist aber auch nötig. Schwamm im ersten Hinterhaus, das seit über 20 Jahren leer steht. Marmorbäder, Eigentumswohnungen, alles chic und teuer.
„Aber wir wollen hier wohnen bleiben und wir können uns das nicht leisten, hallo soziale Härte nach §144 BGB?“
„Ja, wir helfen Ihnen auch gern bei der Wohnungssuche. Die Sanierung wird eine riesige Baustelle.“
„Mit welchem Recht wollen Sie uns hier rausschmeißen?“
„Aber Sie sehen doch selbst, hier muss was gemacht werden.“
„Ja, aber kann das nicht so saniert werden, dass wir uns das auch leisten können? Können Sie nicht einfach nur instandsetzen und reparieren? Ach ja, die Haustürklinke ist ab.“
„Ja, die Haustürklinke, da kümmere ich mich. Aber Sie können dem neuen Eigentümer wirklich nicht zumuten, die Sanierung aus der eigenen Tasche zu finanzieren.“
Mein Mitgefühl hält sich in Grenzen, er hat das Haus für 3 Mio Euro erworben, d. h. er spekuliert auf eine Miete, die mindestens 3 mal so hoch ist wie unsere derzeit. Das letzte Haus in der Sophienstraße wird luxussaniert. Wird unsere Verdrängung aufzuhalten sein, oder gehören wir hier einfach nicht mehr her? Die nächsten Wochen werden es zeigen. Auch eine Chance, noch einmal Revue passieren zu lassen, wie wir hier vor der Wende lebten, welche Geschichte in den Mauern steckt und zum Teil noch abzulesen ist, wie wir dann nach dem Mauerfall eine Bürgerinitiative gründeten, den weiteren Abriss verhinderten, den Flächendenkmalschutz noch durchsetzten, nachdem dann gleich der Westen mit all seiner behutsamen Stadterneuerung, Steuerabschreibungen und städtebaulichen Instrumenten über uns kam.
20 Jahre später, die Bankenkrise ermöglicht fast nur noch den Immobilienfonds sichere Anlagen, kommen auch wir in das Getriebe von Verwertung und Aufwertung, Spekulation mit Häusern und Verdrängung der Mieter. Man will es nicht glauben, wenn es einen selber trifft. Das kann doch einfach nicht sein. Meine Wohnung, mein verlängertes Wohlfühlnest mit so viel Geschichte in vier Wänden, die niemals zwischen zwei Buchrücken passen würde. Kann es wirklich sein, dass eine einzige Unterschrift unter einen Kaufvertrag all das in Frage stellt?
Gibt es wirklich keine Chance für uns? Aufwertung, Verwertung, Gewinn gegen das Recht der Mieter! Wer nicht kämpft, hat schon verloren …