Die Berliner Hochschulen und die Verwicklungen des Marktes
Bologna-Prozess, Akkreditierungsagenturen, Bachelor und Master, Credit Points, Exzellenzinitiative, Hochschulpakt 2020, Hochschulranking und Studiengebühren sind die Begrifflichkeiten, hinter denen sich die Ökonomisierung und Umstrukturierung der Hochschullandschaft verbirgt. In Niedersachen gilt schon das neue „Hochschulfreiheitsgesetz“, das vom von der Bertelsmann-Stiftung finanzierten „Centrum für Hochschulentwicklung“ (CHE) maßgeblich bestimmt wurde. Die Änderungen sind tiefgreifend. Wirtschaftlichkeit und Demokratieabbau stehen im Vordergrund. So wurden in Niedersachen bereits fünf vormals staatliche Hochschulen in Stiftungen umgewandelt. Neu ist auch die Einführung eines externen Gremiums, des Hochschulrats. Dieser berät und entscheidet mit der Hochschulleitung über die Abschaffung oder Einführung von neuen Studiengängen, über Personalentscheidungen, die Mittelvergabe und auch über die Wahl der Hochschulleitung selbst. An den Hochschulen, wo der Hochschulrat bereits besteht, sitzen in ihm neben den WissenschaftlerInnen überwiegend Vorstandsvorsitzende, Aufsichtsratsvorsitzende oder Aufsichtsratsmitglieder großer Konzerne oder die Chefs großer mittelständischer Unternehmen. Sonstige Vertreter gesellschaftlicher Gruppen, von den Kirchen bis zu den Gewerkschaften, sind nicht darunter.
Die Zielrichtung ist eindeutig: Zwar kommen die meisten Finanzmittel für die Hochschulen noch immer aus öffentlichen Haushalten, letztlich, doch der Bildungsauftrag wird zunehmend privatwirtschaftlichen Interessen untergeordnet. Während viele der privatwirtschaftlich initiierten Universitäten derzeit wegen Mangel an Geld und zahlungswilligen Studenten schließen, tritt das Phänomen „Privatisierung staatlicher Hochschulen“ in eine neue Phase. Auch in Berlin wird das Hochschulgesetz novelliert. Hier arbeiten Initiativen aus der Wirtschaft an einer ähnlichen Struktur. Die Wissenschaftskommission, die den Senat berät, wurde 2005 unter Mitwirkung verschiedener Zusammenschlüsse von Unternehmen – z. B. „an morgen denken“ oder die Technologie Stiftung Innovationszentrum Berlin – etabliert. Es ist daher nur konsequent, die Geschäftsstelle der Kommission im Ludwig-Erhard-Haus anzusiedeln.
Schon jetzt sind an den Berliner Hochschulen die ersten Konsequenzen der PPP (Public Private Partnership), so heißt das Modell, in dem Wirtschaft und Universitäten kooperieren, zu bemerken. Häufig hinter verschlossenen Türen entwickelt, werden die Abhängigkeiten und Konsequenzen wenig thematisiert. Für die Zusammenarbeit werden jedenfalls Infrastruktur und Renommé der Universitäten genutzt. Der Markt hat die Bildung entdeckt. In ihrem 2007 vorgestellten Szenario „2020“ orientiert die Deutsche Bank deutlich auf diesen Sektor. Die Universität Potsdam kooperiert schon seit einiger Zeit mit der Deutschen Bank. Nicht nur den lukrativen Geschäftsbereich der Bildungskredite will die Bank erschließen, sondern auch ihre Kompetenzen in den Aufbau eines Angebots zur Vermittlung von Schlüsselqualifikationen einbringen. Die FU plant mit dem Klett Verlag die Gründung der „Deutsche Universität für Weiterbildung“, die im Oktober 2007 eröffnet werden soll. Da die FU in dieser Kooperation kein Kapital einbringen konnte, wurde kurzerhand eine Villa zur Verfügung gestellt, in der bislang der Studiengang der Ethnologie untergebracht war. Das neue Prestige-Objekt der FU brachte für die 700 Studierenden eine drastische Verschlechterung mit sich: Ohne Institut und Leerräume findet der Unterricht mal hier, mal dort statt. Brisant ist auch, daß an der FU Weiterbildungen im Bereich von Publizistik und Verlagswesen angeboten werden sollen, hingegen der reguläre Studiengang Kommunikationswissen an chronischer Unterfinanzierung leidet. An der Universität der Künste (UdK) wurden Ende der 90er die ersten kostenpflichtigen Aufbau- und Masterstudiengänge im Medienbereich eingeführt. Man wollte trotz des Sparzwangs nicht auf die Entwicklung neuer Inhalte verzichten und auch für bereits Berufstätige Weiterbildungen ermöglichen, so die Hochschulleitung. Geworben wird mit Qualifizierung und Kontakten zum Arbeitsmarkt, die ja in Zeiten, in denen der Arbeitsmarkt für AbsolventInnen immer unzugänglicher wird, an Bedeutung gewinnen. Eine spezielle Ausbildung und Arbeitsplätze also nur noch für zahlungskräftiges Publikum?
Ein Beispiel für die subtilen Verwicklungen des Marktes war die UdK-Kooperation mit dem Weiterbildungsangebot der „Akademie der Medien Berlin GmbH“, einem Tochterunternehmen der Berliner Synchron AG (BSAG), die letztes Jahr an die Börse ging. Dort werden u. a. Synchron-Workshops auch für SchauspielstudentInnen angeboten. Das Papier zum Börsengang der BSAG verheißt größere Gewinnmargen durch Kostenoptimierung, die durch günstigen Sprechernachwuchs entsteht, und sieht im Lohndumping die Möglichkeit, sich gegenüber anderen Studios durchzusetzen. Die BSAG erhält von der Investitionsbank Berlin für 2007/2008 Zuschüsse in Höhe von bis zu 720 000 Euro für die Verbesserung der Studioausstattung. Außerdem möchte die BSAG für den Bereich der Synchronsprecher eine Arbeitsvermittlungsagentur einrichten. Ob hierfür dann eine Vermittlungsgebühr von den Schauspielern fällig ist, wie mancherorts schon üblich, oder ob diese Maßnahme zusätzlich etwa vom Arbeitsamt gefördert wird, ist offen. Die Zusammenarbeit sei mittlerweile beendet, sagte der UdK-Präsident, die Hochschule habe beschlossen, nur noch dort zu kooperieren, wo sie auch über eigene Kompetenzen verfüge. Das sei im Filmbereich nicht der Fall. Offensichtlich bleibt: Das Geschäft mit der Wissensgesellschaft und der Markt um Privatisierung und Arbeit haben auch die Hochschulen zum Kampfplatz gemacht. Die bislang geplanten und durchgesetzten Reformen richten sich nach dem Warenwert und nicht dem wahren Wert der Bildung, und Universitätsreformer à la Wilhelm Humboldt, mit dessen Reformen die deutsche Hochschule zum Ort der universellen Bildung und kritischen Lehre wurde, sind leider nicht in Sicht.
Nach dem letzten großen Bildunsgstreik 2003 und der Besetzung der Humboldt-Uni gründeten Studierende die „Offene Universität Berlin“. Sie erstellen seither ein Alternatives Vorlesungsverzeichnis und bieten eigene Seminare an. Selbstorganisierte Bildung als Modell gegen Zugangsbeschränkung und Normierung der Lerninhalte? Das seit einem Jahr bestehende Bündnis für Freie Bildung in Berlin plant ein Volksbegehren für mehr Demokratie und Mitbestimmung der Hochschulmitglieder, sowie gegen Studiengebühren und Reglementierung von Masterstudiengängen. Auch die Gewerkschaften sollten verstärkt in diese gesellschaftlichen Prozesse eingreifen, gegen Privatisierung und für eine Mitbestimmung an Strukturen und Inhalten im Hochschulbereich eintreten. Schließlich geht es im Bildungsbereich um Ausbildung, Arbeitsplätze, aber auch um die gesellschaftliche Zukunft.
Erstaunlich ist, daß diese Umstrukturierungen von all jenen initiiert und getragen werden, die selbst noch von einem freien Bildungssystem profitiert haben. Im Grundgesetz ist das Recht auf Bildungsfreiheit nicht explizit verankert. Lediglich der Artikel 2 verweist auf das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Man könnte meinen, daß hier der freie Zugang zur Bildung inbegriffen sein könnte. Aber in jüngster Zeit unterliegt das Grundgesetz ja sowieso der freien Interpretation der regierenden Meinung.
Wir lassen uns nicht für dumm verkaufen!
Malah Helman
Weiterführende Links:
www.biwifo.bb.verdi.de/studierende
www.rewi.hu-berlin.de/AKJ/zeitung/annex/annex1/index.htm
Die Berliner Bildungslandschaft: Rückbau, Umbau oder demokratischer Prozess?
Foto/Montage: Malah Helman
Am 26. Mai um 15 Uhr findet am Lausitzer Platz in Berlin eine Demonstration gegen die Bildungspolitik der G8 statt.