Der Böse Wolf erklärt Berlin
Nach dem gewonnenen Volksentscheid „Unser Wasser“ reagiert die Politik mit Geplänkel und der Berliner Wassertisch mit fortschreitender Professionalisierung.
Die meisten Beobachter hatten der Bürgerinitiative Berliner Wassertisch diesen Erfolg nicht zugetraut: Mit „Unser Wasser“ gelang es zum ersten Mal in Berlin, einen Volksentscheid durch alle Instanzen zum Erfolg zu führen. Der Gesetzestext des Wassertischs, über den am 13. Februar abgestimmt wurde, sieht die vollständige Veröffentlichung aller Verträge, Beschlüsse und Nebenabreden bzgl. der Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe vor. 27,5 Prozent der 2,5 Millionen wahlberechtigten Berliner gaben ihre Stimme ab. Von diesen stimmten 98,2 Prozent für den Gesetzestext des Wassertischs, was einer Zustimmung durch 665.000 Wähler entspricht. Nach der Verkündung des Gesetzes im Gesetz- und Verordnungsblatt von Berlin am 13. März sind Senat und Abgeordnetenhaus in der Pflicht, das Gesetz innerhalb von sechs Monaten umzusetzen. Zwar betont der Senat gebetsmühlenartig, es seien doch bereits alle Verträge im Internet veröffentlicht worden. Der Wassertisch geht hingegen – gestützt auf interne Unterlagen aus den Wasserbetrieben – davon aus, dass noch weitere Verträge und Vertragsbestandteile existieren, die bislang von Senat und Wasserbetrieben unter Verschluss gehalten werden.
Die Reaktionen der Regierenden zum unerwartet gewonnenen Volksentscheid bewegten sich zumeist an der Peinlichkeitsgrenze – vor allem weil SPD und LINKE versuchten, das deutliche Misstrauensvotum der Bürger als Bestätigung ihrer Politik zu verkaufen. Den Vogel schoss Wirtschaftssenator Harald Wolf (LINKE) ab. Kurz vor der Abstimmung gab er bekannt, dass er nicht am Volksentscheid teilnehmen werde. Er sei zwar in der Sache mit den Initiatoren einig, allerdings lehne er deren Gesetzestext ab. Als ihn nach dem gewonnenen Volksentscheid die RBB-Abendschau interviewte, schaute er bedröppelt in die Kamera und fand es auf einmal „richtig, dass sich viele Menschen in diese Richtung ausgesprochen haben“. Die Teilnehmer der „Wahlparty“ des Wassertischs, wohin die Abendschau übertragen wurde, quittierten die Äußerungen von Wolf mit dem von den Demonstrationen gegen Stuttgart21 bekannten Schlachtruf „Lügenpack!“. Klaus Lederer, Landesvorsitzender der LINKE, stellte bald nach dem Volksentscheid seine Idee zur Bildung einer Genossenschaft vor, die die Anteile an den Wasserbetrieben, die RWE angeblich bereit ist zu veräußern, aufkaufen soll. Der Wassertisch kritisierte dieses Vorhaben allerdings scharf. Lederers Modell laufe darauf hinaus, das Holdingmodell der Wasserbetriebe nicht nur zu erhalten, sondern zu verkomplizieren und damit noch intransparenter zu machen. Dies zeigt wiederum, dass zumindest Lederer nicht verstanden hat, worum es der Bürgerinitiative eigentlich geht. Wie die Berliner Landespolitik mit den Wasserbetrieben weiter umgehen will, ist bislang noch unklar. Zu befürchten ist, dass beide Regierungsparteien das Thema im nächsten halben Jahr für ihre Wahlkampf auszuschlachten versuchen. Einen ersten Vorgeschmack lieferten beide Anfang März im Zuge der Feststellung des Bundeskartellamts, dass die Berliner Wasserpreise überhöht seien. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) machte für die Preise Harald Wolf verantwortlich, denn dieser sitze ja bekanntlich im Aufsichtsrat des Konzerns. Wolf hingegen verwies auf den durch die Teilprivatisierung geschaffenen Sachzwang, dem auch er sich leider zu fügen habe, auch wenn er in der Sache natürlich anderer Meinung sei.
Der Wassertisch selbst befindet sich seit einigen Wochen in einer Umstrukturierungsphase. Einerseits wurde dies durch die neue Position als Gewinner des Volksentscheids notwendig. Andererseits hatte sich während der Kampagne gezeigt, dass mitunter recht unprofessionelle Alleingänge einzelner Mitglieder der Sache an sich eher schaden als nutzen. Nun ist die Öffentlichkeitsarbeit professioneller aufgestellt und mit dem „Klärwerk“ eine neue Arbeitsgemeinschaft gegründet worden, die sich fortan intensiv und mit fachlicher Expertise mit den bislang veröffentlichten Vertragsbestandteilen auseinandersetzen soll. Zudem soll sie die Umsetzung des mit dem Volksentscheid erfolgreich verabschiedeten Gesetzes überwachen und mit eigenen Publikationen die Öffentlichkeit über den Fortgang dieses Prozesses informieren. Wenn es dem Wassertisch gelingt, mit Kompetenz und Frechheit den bevorstehenden Wahlkampf aufzumischen, wird dieser für manchen etablierten Politiker sicherlich anstrengender als gewünscht.
Benedict Ugarte Chacón
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