Regierungskoalition verspricht die Abkehr von der Privatisierungspolitik der vergangenen Jahre
Seit einiger Zeit gibt sich die rot-rote Koalition hin und wieder privatisierungskritisch und will in einzelnen Bereichen sogar das Thema Rekommunalisierung für sich entdeckt haben. Zumindest soll dieser Anschein in den Wahlprogrammen beider Regierungsparteien erweckt werden. Dies mag mit dem für die Landesregierung überraschend deutlichen Dämpfer durch den Volksentscheid „Unser Wasser“ zusammenhängen. Doch trotz verbaler Kehrtwenden gilt hier die biblische Weisheit: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ Daher bleibt trotz des Wahlkampfgetöses festzuhalten, dass Rot-Rot den Vorgängerregierungen in Sachen Privatisierung in nichts nachsteht.
Die SPD gibt sich in ihrem „Berlinprogramm 2011-2016“ zu Rekommunalisierung auffallend wortkarg. Einerseits kehrt sie heraus, dass sie sich „zum öffentlichen Eigentum an den Unternehmen der Daseinsvorsorge“ bekenne und dass sie vorhabe, die Daseinsvorsorge „wieder vermehrt in öffentliche Hände“ legen zu wollen. „Das Gemeinwohl muss jederzeit über privatem Gewinnstreben stehen!“, so das Credo. Wie diese Politik aber konkret aussehen soll, wird nicht so recht klar. Immerhin ringt sich die SPD zu einer Absichtserklärung durch, die 1999 unter ihrer Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing privatisierten Anteile der Berliner Wasserbetriebe zurückkaufen sowie die Gas- und Stromnetze rekommunalisieren zu wollen. Zudem soll der kommunale Wohnungsbestand auf 300.000 Wohneinheiten ausgebaut werden. Eine Privatisierung von Wohnungsbeständen lehnt die SPD neuerdings konsequent ab. Die Linke hingegen gibt sich in ihrem Programm „Das soziale Berlin“ visionärer. So spricht sie sich grundsätzlich für die öffentliche Kontrolle der Daseinsvorsorge aus und formuliert als Ziel sogar, den kommunalen Einfluss nicht nur sichern, sondern auch zurückgewinnen zu wollen. Dafür sollen „unmittelbare Beteiligungsformen“ ausprobiert werden, um eine „qualifizierte Bürgerkontrolle“ zu ermöglichen. Ähnlich wie die SPD will sich auch Die Linke für eine Rekommunalisierung der Wasserbetriebe und der Gas- und Stromnetze engagieren sowie ein kommunales Energieversorgungsunternehmen gründen. Sich selbst bescheinigt die Partei ein „kontinuierliches Eintreten für demokratische und transparente öffentliche Unternehmen – auch über den Horizont einer Legislaturperiode hinaus“. Bei so viel Begeisterung für die öffentliche Daseinsvorsorge fragt man sich, warum beide Parteien erst nach zwei Legislaturperioden und wenige Monate vor der Wahl auf solche Ideen kommen. Insbesondere bei der Partei Die Linke stellt sich die Frage, ob sie in den vergangenen Jahren wahrgenommen hat, dass sie an der Regierung beteiligt ist. In der Privatisierungsbilanz von knapp 10 Jahren Rot-Rot muten die neuartigen Absichtserklärungen jedenfalls wie eine Abrechnung mit der eigenen Politik an.
Massenhafter Wohnungsverkauf
Eines der größten Schurkenstücke bleibt wohl die Privatisierung der GSW, der Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft. So gab Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) im Mai 2004 deren Verkauf mit ca. 65.700 Wohnungen und Gewerbeeinheiten für eine Summe von 405 Millionen Euro bekannt. SPD und PDS feierten die Veräußerung als finanzpolitischen Erfolg. Im Bieterverfahren hatte sich ein Konsortium aus dem Whitehall-Fonds der Investmentbank Goldman Sachs und der Investmentgesellschaft Cerberus gegen andere Finanzinvestoren durchgesetzt. Der Senat wies darauf hin, dass sich das Konsortium verpflichtet habe, die sozial- und wohnungspolitischen Ziele der GSW weiterzuverfolgen. So sollte auch zukünftig preiswerter Wohnraum angeboten und auf Luxussanierungen verzichtet werden. Ebenso sollte das Bestands- und Quartiersmanagement „erhalten und intensiviert“ werden. Völlig unklar ist die Kontrolle über die Einhaltung der Verpflichtungen. Ob überhaupt Sanktionen vorgesehen sind, falls sich die Investoren nicht an die Vereinbarungen halten, blieb der Öffentlichkeit bisher verborgen. Zudem endet das Entsenderecht des Landes Berlin in den Aufsichtsrat der GSW im nächsten Jahr. Der Privatisierungsvertrag wird entgegen aller Beteuerungen zu mehr Transparenz nach wie vor geheim gehalten. Jedenfalls erklärte der Senat bereits 2004, wohin es mit der GSW gehen solle: „Sie wird mit Hilfe des immobilienwirtschaftlichen und finanziellen Know-hows der Erwerber zu einem leistungs- und wettbewerbsfähigen Betrieb weiterentwickelt, der über die Stadtgrenzen hinaus tätig werden und Partnerschaften eingehen soll.“ Übersetzt heißt das: Rendite machen, vor allem auf Kosten der Mieter/innen. Eine weitere Vereinbarung zwischen Senat und Investoren sah vor, dass letztere die GSW-Anteile mindestens 10 Jahre halten sollten. Allerdings ließen sich die Geschäftspartner ein Hintertürchen offen. Aus einem internen Argumentationspapier, das Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) für die Sitzung der SPD-Fraktion am 25. März 2010 anfertigte, geht hervor, dass nach § 9.1 des Privatisierungsvertrags „jede Verfügung über Geschäftsanteile bis 2014 der Zustimmung des Landes Berlin“ bedarf. Die Investoren können also ihre GSW-Anteile weiterveräußern, wenn sie eine Zustimmung des Landes Berlin haben. Am 4. Januar 2010 stellten sie einen Antrag auf Zustimmung zum Börsengang, im April 2010 beschloss das Abgeordnetenhaus mit den Stimmen von SPD, Die Linke und FDP, die Zustimmung zu erteilen. Auch wenn sich der Start an der Börse verzögerte und erst im Frühjahr 2011 erfolgte, hat die rot-rote Privatisierungspolitik Tausende Wohnungen zu Spekulationsobjekten gemacht. Der SPD-Fraktionschef Michael Müller feierte 2004 die Privatisierung im Tagesspiegel als „politisches Projekt“. Dahingegen verwies der damalige wohnungspolitische Sprecher der PDS-Fraktion Michail Nelken ungewollt auf die Überflüssigkeit seiner Partei, die den Verkauf bedingungslos mitgetragen hatte: „Der Verkauf der GSW ist wohnungspolitisch nicht vernünftig. Er ist an sich nicht mal fiskalisch besonders schlau. Dies sieht die PDS auch heute noch so.“
Verzicht auf Steuerungsinstrumente
Beim Verkauf der Gewerbesiedlungsgesellschaft (GSG) hatte Rot-Rot ebenfalls kurzfristige finanzielle Erfolge im Blick. Bei der GSG handelt es sich um eine Gesellschaft, die 1965 vom Land Berlin, der Handwerkskammer und der Industrie- und Handelskammer (IHK) gegründet wurde. Ihr Ziel war die Entwicklung und Vermietung preiswerter Gewerbeflächen vor allem an kleine und mittelständische Unternehmen. Zum Zeitpunkt ihres Verkaufs im Jahr 2007 verfügte die GSG über 750.000 qm Gewerbefläche. Zuvor hatte eine Tochtergesellschaft der damals noch zur Bankgesellschaft Berlin gehörenden Investitionsbank Berlin (IBB) die Anteile an der GSG sechs Jahre lang gehalten. Im Zuge der Umstrukturierung und des späteren Verkaufs der Bankgesellschaft (siehe unten) wurde die IBB zur eigenständigen Förderbank des Landes Berlin. Nach dem Bankenskandal im Jahr 2001 hatte die IBB mit einer schwachen Eigenkapitalbasis zu kämpfen, weshalb sie selbst die Veräußerung der GSG befürwortete. Auch Wirtschaftssenator Harald Wolf (Die Linke) war für den Verkauf, und auf seine Vorlage hin einigte sich der Senat im März 2007 auf die Privatisierung. Vorausgegangen war ein koalitionsinterner Konflikt: Wolf hatte einen Verkauf schon für 2005 vorgesehen, die SPD machte ihm allerdings einen Strich durch die Rechnung. Auch kurz vor der Einigung im Senat sah die SPD noch grundsätzliche Fragen zur Verwendung des Verkaufserlöses ungeklärt. Schließlich einigten sich die Senatsparteien darauf, den Erlös von rund 308 Millionen Euro zwischen IBB und Landeshaushalt aufzuteilen. Als Käufer fand sich ein Konsortium aus der Luxemburger Orco Property Group und dem Morgan Stanley Real Estate Fund. Der Deutschland-Chef der Orco gab sogleich bekannt, dass er auf das eingesetzte Kapital eine Rendite von 6% erzielen wolle. Mit dem Verkauf der GSG brachte Rot-Rot das Land Berlin um ein stadtentwicklungspolitisches Steuerungsinstrument, um kurzfristig die IBB und den Landeshaushalt zu entlasten. Die Kritik wurde laut, dass mit der kurzsichtigen Privatisierung gerade die auf preiswerte Mieten angewiesenen Existenzgründer/innen und kleine Unternehmen, insbesondere aus der Kultur- und Medienwirtschaft sowie dem Kreativbereich, getroffen würden. Diese wischte Wolf mit dem Argument vom Tisch, dass es auch andere günstige – private – Anbieter gäbe.
Verkaufserlös statt sozialer Ausrichtung: Berliner Sparkasse
Der Verkauf der Landesbank mitsamt Sparkasse im Jahr 2007 wird heute von beiden Koalitionspartnern als Erfolg bewertet. Es sei mit dem Verkaufserlös von 4,6 Milliarden Euro gelungen, die von der Bankgesellschaft in den 90er Jahren aufgehäuften Immobilienfondsrisiken, die nach dem Bankenskandal vom Land „abgeschirmt“ wurden, zumindest bis jetzt auszugleichen. Der eigentlich werthaltige Teil des Bankkonzerns war die Berliner Sparkasse, weshalb Rot-Rot zur Erzielung eines möglichst hohen Verkaufspreises alles daransetzte, das bis dato Unmögliche möglich zu machen: Den Verkauf einer öffentlich-rechtlich organisierten Sparkasse an einen privaten Investor. Als Rechtfertigung gaben die Senatsparteien an, dass die EU-Kommission, die in der Abschirmung eine unzulässige Beihilfe sah, einen Verkauf der Anteile an der Berliner Landesbank inklusive Sparkasse forderte. Aus dem Auflagenbescheid der EU-Kommission vom 18. Februar 2004 geht solcherlei jedoch nicht hervor. Vielmehr verwies die Kommission in anderem Zusammenhang darauf, dass das Land Berlin in dem mit der Bankgesellschaft ausgehandelten Umstrukturierungsplan eine Veräußerung der Sparkasse vorgesehen hatte und die Kommission diesen Umstrukturierungsplan lediglich genehmigte. Jedenfalls gelang Rot-Rot im Verbund mit auf Privatisierung spezialisierten Rechtsberatern das Kunststück, eine öffentlich-rechtliche Sparkasse unter dem Dach einer Aktiengesellschaft zu erhalten und einen gemeinsamen Verkauf unter anderem an private Investoren zu ermöglichen. Deshalb wurde im Jahr 2005 ein neuartiges Sparkassengesetz geschaffen, das bundesweit als Beispiel für Sparkassenprivatisierungen gesehen werden kann. Dessen unsoziale Ausrichtung wurde ausgerechnet vom Landesvorsitzenden der Partei Die Linke, Klaus Lederer, immer wieder verteidigt. Sein Argument: Gesetzliche Vorgaben zur Gewinnverwendung oder zur Führung eines Girokontos auch für Arme würden nicht dem EU-Recht entsprechen, da das Verkaufsverfahren dann nicht mehr diskriminierungsfrei sei. Diskriminierungsfrei bedeutet, dass kein möglicher Investor durch Hürden oder Bedingungen begünstigt oder von einem Gebot abgehalten werden darf. Man hätte deshalb, so die Schlussfolgerung, das Sparkassengesetz nicht auf einen öffentlich-rechtlichen Bieter zuschneiden können. Auf Anfrage teilte die EU-Kommission allerdings mit, dass es „keinen eindeutig abgegrenzten Begriff von Diskriminierungsfreiheit“ gebe, die von Lederer genannten Bedingungen also so gar nicht gegeben waren. Dass schließlich im Sommer 2007 der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) die Landesbank samt Sparkasse kaufte, verbucht Die Linke in heutigen Stellungnahmen seltsamerweise als ihren Erfolg – was gar nicht sein kann, denn dann wäre der Verkauf ja nicht diskriminierungsfrei abgelaufen. Das Resultat des Sparkassenverkaufs unterscheidet sich aufgrund der Ausrichtung des Sparkassengesetzes jedenfalls nicht wesentlich von dem, das bei einem Verkauf an einen privaten Investor herausgekommen wäre. Denn schließlich muss sich die Investition für jeden Investor rechnen, ob nun Privatbank oder DSGV. Der Senat hatte letztendlich sein Ziel erreicht: Mit einem möglichst investorenfreundlichen Sparkassengesetz wurden zahlungswillige Private angelockt und am Ende konnte er sich darüber freuen, dass der DSGV am tiefsten in die Tasche griff, um eine Privatisierung der Sparkasse zu verhindern.
Stiller Ausverkauf
Weniger öffentlichkeitswirksam, aber nicht unbedeutender, schreitet seit zehn Jahren der stille Ausverkauf öffentlicher Liegenschaften voran. Hierfür bedient sich Rot-Rot des Liegenschaftsfonds, bei dem es sich eigentlich um ein Überbleibsel der Schulden-Verschiebe-Politik von Annette Fugmann-Heesing handelt. Unter ihrem Nachfolger Peter Kurth (CDU) wurde dessen Konzept dergestalt geändert, dass der Fonds angeblich nicht mehr benötigte Grundstücke des Landes entsprechend verwertet. Seit 2001 verfolgt er das Ziel, „die landeseigenen Immobilien einerseits den Marktanforderungen anzupassen und andererseits gewinnbringend zu veräußern“, wie es in einer Broschüre zum 10-jährigen Bestehen heißt. Nach eigenen Angaben hat der Liegenschaftsfonds seit 2001 5.500 Immobilien verkauft und damit über 2 Milliarden Euro eingenommen. Kritiker/innen werfen dem Liegenschaftsfonds vor, einer reinen Verwertungslogik zu folgen und an einer nachhaltigen Stadtentwicklung kein Interesse zu haben.
Politik als Verwaltung von Kostenstellen
Trotz aller gegenteiligen Bekenntnisse vorgeblich linker Parteien bleibt die Erkenntnis, dass es in Berlin keinen Unterschied macht, wer gerade regiert: Die unpolitische Logik, weder auf Nachhaltigkeit noch auf wirtschafts- und sozialpolitische Steuerung zu setzen und Politik als Verwaltung von Kostenstellen zu begreifen, ist bislang in allen Parteien tief verwurzelt.
Benedict Ugarte Chacón
Erschienen im MieterEcho 349.