Der Erfolg des Berliner Wassertischs motiviert weitere Initiativen
Nachdem die rot-rote Regierung die Privatisierungspolitik ihrer Vorgänger knapp zehn Jahre lang fortsetzte und mit dem neuen Bündnis aus SPD und CDU trotz mancher Versprechen der Sozialdemokraten keine Richtungsänderung erwartet werden kann, sind stadtpolitische Initiativen gefragter denn je. Der Wassertisch hatte im Februar dieses Jahres mit dem ersten geglückten Volksentscheid in der Geschichte Berlins neue Maßstäbe gesetzt. Im Laufe des Jahres gründeten sich zwei weitere Initiativen, die sich nicht nur am Namen der erfolgreichen Bürgerinitiative orientieren, sondern auch an deren Methoden. Mit neuen Volksbegehren wollen sich der Berliner S-Bahn-Tisch und der Berliner Energietisch in die Stadtpolitik einmischen. Das Beispiel des Wassertischs zeigt jedoch: Der Weg ist lang und selbst ein gewonnener Volksentscheid nur ein Teilschritt in Richtung Rekommunalisierung.
Der S-Bahn-Tisch fand sich im März dieses Jahres zusammen. In seiner Selbstbeschreibung heißt es: „Während die Bundesregierung ihrer Verantwortung als Eigentümerin der Deutschen Bahn nicht nachkommt, die Bahn-Manager nur mit Blick auf den Höchstprofit wirtschaften und der Berliner Senat untätig zuschaut, wollen wir Berlinerinnen und Berliner selbst aktiv werden.“ Deshalb setzt sich die Initiative für eine zuverlässige, bezahlbare und kundenfreundliche S-Bahn ein und lehnt deren Privatisierung als Bestandteil der Daseinsvorsorge strikt ab. Ebenso wendet sie sich gegen eine profitorientierte Unternehmensführung, erzielte Gewinne sollten vielmehr in den Betrieb reinvestiert werden.
Um diese Ziele zu erreichen, startete der S-Bahn-Tisch im Juni die Unterschriftensammlung für den Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens. Das Gesetz, das damit durchgesetzt werden soll, sieht neben der Offenlegung aller zwischen dem Land Berlin und der S-Bahn geschlossenen Verträge, Beschlüsse und Nebenabreden einen Katalog von Anforderungen vor, die in jeden neuen Verkehrsvertrag aufzunehmen sind. Hierzu gehört unter anderem eine Ausweitung der Wagen- und Sitzplatzkapazitäten mindestens auf das Niveau von 2005, die Anwesenheit von Aufsichtspersonal auf jedem S-Bahnhof während der Betriebszeit sowie die Sicherstellung einer tariflichen Entlohnung für Beschäftigte der S-Bahn sowie von deren Subunternehmen.
Unterschriften für die S-Bahn
Das Hauptziel, nämlich die Verhinderung der Zerschlagung und Privatisierung der S-Bahn, findet allerdings keinen Niederschlag im Gesetzestext des Volksbegehrens. Das liegt nach Angaben des S-Bahn-Tisch-Sprechers Rouzbeh Taheri daran, dass ein Volksbegehren, das sich gegen eine Ausschreibung der S-Bahn wendet, gegen EU-Recht verstoßen würde und somit nicht zulässig wäre. Durch die genannten Bedingungen im Verkehrsvertrag wäre allerdings mit dem Unternehmen kein Profit mehr zu erzielen und es würde damit für private Betreiber uninteressant. Bis zum 15. Dezember müssen nun 20.000 Unterschriften eingesammelt werden, Anfang Oktober lag deren Zahl schon bei über 10.000. Sollte das erforderliche Quorum erreicht werden, käme es zum eigentlichen Volksbegehren, bei dem rund 170.000 wahlberechtigte Berliner/innen unterzeichnen müssten. Wird auch diese zweite Stufe erfolgreich absolviert, stünde ein Volksentscheid an, bei dem an einem Sonntag alle Wahlberechtigten in einem Wahllokal über das Gesetz abstimmen könnten. Dieser fände dann Anfang 2013 statt.
Unterstützt wird das Anliegen des S-Bahn-Tischs unter anderem von der Berliner MieterGemeinschaft, Attac Berlin, dem Landesverband der Volkssolidarität und der Gewerkschaft deutscher Lokführer. Auch Parteien und Parteiorganisationen rufen zur Teilnahme am Volksbegehren auf, wie die Berliner Jusos, die Piratenpartei oder die DKP.
Interessanterweise versteht sich der Landesverband der Partei Die Linke ebenfalls als Unterstützerin des Volksbegehrens. Schon im Juni hatte der Landesvorstand erklärt, dass das Volksbegehren „ein wichtiger Beitrag“ sei. Schließlich trete ja die Partei Die Linke „dafür ein, dass der S-Bahn-Betrieb an ein demokratisch kontrolliertes, gut geführtes, dem Gemeinwohl verpflichtetes landeseigenes Unternehmen direkt vergeben wird. Öffentliche Kontrolle, Transparenz und gute Leistungserbringung, bei der der Gewinn nicht das oberste Ziel ist – das ist das Rezept für einen guten und nachhaltigen S-Bahn-Verkehr in unserer Stadt.“ Solche privatisierungskritischen Töne hätte man von dieser Partei, so sie ihr Engagement ernst nähme, schon vor Jahren erwarten können. Aber hier wie auch in anderen Bereichen verstand sie ihre Regierungsrolle in erster Linie im Bejammern angeblicher Sachzwänge verbunden mit dem Abnicken von SPD-Vorgaben. Schließlich hat das auch von der Partei Die Linke kritisierte „S-Bahn-Chaos“ seine Ursachen nicht jenseits der Politik, sondern ist vielmehr auch das Resultat jahrelanger rot-roter Schlamperei. Doch in der Opposition wenden sich die Hälse eben noch leichter.
Energienetze zurück in öffentliche Hand
Noch nicht ganz so weit wie der S-Bahn-Tisch ist der im Frühjahr dieses Jahres aus dem Umfeld von Attac Berlin gegründete Berliner Energietisch. Mitgetragen wird die Initiative unter anderem von Mehr Demokratie und dem Verein Bürgerbegehren Klimaschutz, der sich zur Aufgabe gemacht hat, bundesweit Klimaschutzmaßnahmen mittels direktdemokratischer Mittel durchzusetzen. Sich selbst versteht der Energietisch als offene Plattform und lokales Bündnis. Sein Ziel ist die Rekommunalisierung der Berliner Energieversorgung, um damit „wieder die Vorherrschaft über die kommunale Energiepolitik“ zu erlangen. Diese neu geschaffenen Spielräume sollen genutzt werden, „um die Energieversorgung ökologisch, sozial und demokratisch zu gestalten.“ Der erste Schritt soll die Rekommunalisierung des Stromnetzes und die Schaffung eines ökologischen und demokratisch organisierten Stadtwerks auf der Basis erneuerbarer Energien sein. „Eine echte Energiewende kann nur gelingen, wenn Kraftwerke und Netze in Bürger/innenhand sind“, heißt es im Selbstverständnispapier der Initiative.
Die grundsätzliche Idee eines regionalen Energieversorgers im öffentlichen Eigentum ist nicht ganz neu. Unter der Schirmherrschaft des damaligen Wirtschaftssenators Harald Wolf (Die Linke) wurde im November 2010 unter Beteiligung der Wasserbetriebe, der BSR und der Berliner Energieagentur die Gründung einer „Entwicklungs-Plattform Berlin Energie“ vereinbart, die eine Art neues Stadtwerk schaffen soll. Seit dieser Absichtserklärung ist allerdings nicht viel passiert. Dass die Stromnetz-Konzession für Vattenfall Ende 2013 ausläuft, kommt dem Anliegen des Energietischs sehr gelegen. Im September kündigte die Initiative den Start eines Volksbegehrens an, um entsprechenden Druck auf die Politik aufzubauen, die Netze wieder in kommunale Hände zu übernehmen.
Wassertisch bringt sich weiter ein
Der Wassertisch gönnte sich nach seinem Erfolg im Februar nur eine kurze Atempause. Er erkämpfte zwar die Offenlegung der bis dato geheim gehaltenen Verträge zur Teilprivatisierung der Wasserbetriebe, hat aber sein eigentliches Ziel – die Rekommunalisierung der Wasserversorgung – immer noch vor sich. Mit der eigens eingerichteten „AG Klärwerk“ versucht die Initiative seit einiger Zeit, das Vertragswerk öffentlich zu analysieren und dessen Anfechtung vorzubereiten. Auch in den Wahlkampf zur Abgeordnetenhauswahl am 18. September brachte sie sich ein. Sie erstellte Wahlprüfsteine, startete eine Befragung der Kandidat/innen aller relevanten Parteien, wie sie sich bei der durch den Volksentscheid nun gesetzlich geforderten Abstimmung zu den Teilprivatisierungsverträgen zu verhalten gedenken und fuhr eine umfangreiche Kampagne gegen die Kandidatur der ehemaligen Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD), eine der Hauptverantwortlichen für die Teilprivatisierung der Wasserbetriebe. Nachdem der Wassertisch regelmäßig Infostände in deren Wahlkreis organisiert, massenhaft Flugblätter in Briefkästen verteilt und sie in einer öffentlichen Zeremonie zur „MissWirtschaft“ gekürt hatte, verlor Fugmann-Heesing knapp ihr Direktmandat und flog aus dem Parlament.
Erschwert wurde die Arbeit der Initiative in den letzten Monaten allerdings durch interne Konflikte. So gründete der ehemalige Sprecher des Volksentscheids, Thomas Rudek, ein neues Bündnis namens „Wasserbürger“, welches nach eigenen Angaben parallel zum Wassertisch wirken will. Für letzteren wurde dies jedoch zunehmend zur Belastung. Anfang Oktober beschloss der Wassertisch, aufgrund vielfältiger Vertrauensbrüche bis auf Weiteres von einer Zusammenarbeit mit den „Wasserbürgern“ abzusehen. Das Beispiel des Wassertischs zeigt also für andere Initiativen einerseits, dass außerparlamentarische Kampagnen durchaus zum Erfolg führen können, andererseits aber auch, dass mit einem gewonnenen Volksentscheid die Arbeit noch längst nicht getan ist.
Benedict Ugarte Chacón