Nichts als Ausschuss?


Der Sonderausschuss „Wasserverträge“ des Abgeordnetenhauses zeigt: Direkte und parlamentarische Demokratie passen nicht wirklich zueinander

Die Überraschung nach dem gewonnenen Volksentscheid zu den Berliner Wasserbetrieben war nicht nur bei den etablierten Parteien groß. Über 666.000 Berliner stimmten im Februar letzten Jahres für den von der Bürgerinitiative Berliner Wassertisch vorgelegten Gesetzentwurf, wonach die bis dahin geheim gehaltenen Verträge zwischen dem Land Berlin und den privaten Investoren RWE und Veolia offen gelegt und einer öffentlichen Prüfung durch das Abgeordnetenhaus unterzogen werden müssen. Als problematisch erweist sich nun allerdings eine handwerkliche Schwäche des Gesetzentwurfs: Es überlässt die Ausgestaltung der Prüfung dem Parlament selbst. Und dieses funktioniert nach seinen eigenen Regeln.

Zur Vertragsprüfung heißt es im Paragraf 3 des Gesetzes für die vollständige Offenlegung von Geheimverträgen zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe vom 4. März 2011: „Bestehende Verträge, Beschlüsse und Nebenabreden bedürfen einer eingehenden, öffentlichen Prüfung und öffentlichen Aussprache durch das Abgeordnetenhaus unter Hinzuziehung von unabhängigen Sachverständigen.“ Die Vorgaben des Gesetzes sind, was die öffentliche Prüfung angeht, demnach nicht konkret gefasst. Das Abgeordnetenhaus wiederum unterliegt zum einen seinem eigenen Regelwerk aus gesetzlichen Grundlagen, Geschäftsordnung und jeweils angepassten Ausschussregularien und zum anderen spiegeln sich in jeder seiner Handlungen die gegeneinander ausgefochtenen Interessen der einzelnen Fraktionen wider. Dadurch, dass es dem Parlament selbst überlassen wurde, über die Form der öffentlichen Prüfung zu befinden, wurde ein monatelanger Diskussions- und Abstimmungsprozess in Gang gesetzt, der schließlich in der Einrichtung des Sonderausschusses „Wasserverträge“ mündete. Seine erste Sitzung fand am 6. Januar 2012 statt – also fast ein Jahr nach dem Volksentscheid.

Sonderausschuss tagt seit Januar

Einen Sonderausschuss kann das Parlament für „einzelne Angelegenheiten“ einrichten. Hat der Ausschuss seinen Auftrag erledigt, ergeht ein Bericht oder eine Beschlussempfehlung ans Parlament und anschließend wird er aufgelöst. Der Sonderausschuss „Wasserverträge“ hat neun Mitglieder und ist bis zum 31. Dezember 2012 befristet. Im Gegensatz zu einem Untersuchungsausschuss besitzt ein Sonderausschuss weniger Rechte. So kann er beispielsweise keine Zeugen vorladen, sondern kennt nur „Anzuhörende“. Gleichzeitig funktioniert er wie die ständigen Ausschüsse des Parlaments, was auch bedeutet, dass der Parteienproporz eine große Rolle bei der Erfüllung des Arbeitsauftrags spielt. Da der Sonderausschuss auf Betreiben der Regierungsfraktionen keine Extraausstattung für Personalkosten erhielt, befinden sich insbesondere die kleinen Oppositionsfraktionen in der Situation, mit ohnehin geringerer Ausstattung mehr fachliche Arbeit leisten zu müssen.

Parteienproporz statt sachlicher Auseinandersetzung

Im Gegensatz zu anderen Ausschüssen wird der Sonderausschuss regelmäßig von einem größeren Publikum verfolgt. Mitunter geht es recht emotional zu, beispielsweise wenn einzelne Wirrköpfe Journalisten angehen. Die Zuschauer bekommen immer wieder demonstriert, wie das Parlament – nicht nur im Sonderausschuss – in Wirklichkeit funktioniert. Einer vorbereiteten Opposition aus B90/Grüne, Die Linke und Piratenpartei steht eine mäßig interessierte Koalition aus SPD und CDU gegenüber, die sich oft nicht einmal die Mühe macht, ihren  Ausführungen wenigstens einen sachlichen Anstrich zu geben. Rhetorische Tiefpunkte erreichen die Sitzungen, wenn insbesondere aufseiten der SPD Argumentation mit Geschwätzigkeit verwechselt wird. Dem Lauf der Dinge tut dies allerdings keinen Abbruch, da die Koalition ohnehin so gut wie jeden Antrag der Opposition niederstimmt oder – wenn sie einen guten Tag hat – mit endlosen Formaldebatten versucht, nicht Genehmes zu vertagen. Die „Kraft der Argumente“ oder die Unabhängigkeit von Weisungen, die manche noch mit dem Parlament und seinen Abgeordneten in Verbindung bringen, war schon immer eine Fiktion. Wundern darf man sich ob des Verhaltens von SPD und CDU ohnehin nicht. Die Große Koalition der 90er Jahre hat die Teilprivatisierung der Wasserbetriebe schließlich verbrochen. Wer will da eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den eigenen Hinterlassenschaften erwarten? Vor diesem Hintergrund scheint die Annahme, man könne dem Parlament eine gewisse Neutralität bei der Prüfung der Privatisierungsverträge zutrauen, recht naiv.

Magere Ergebnisse

Bislang hat der Sonderausschuss selbst eher wenig Substanzielles hervorgebracht. Das liegt zum einen an seiner dem Parteienproporz gehorchenden Arbeitsweise und zum anderen daran, dass sich die Auseinandersetzungen zwischen den Ausschussmitgliedern allzu oft um Formalitäten drehen: Welche zusätzlichen Unterlagen können wie zugänglich gemacht werden, wie soll der Umgang mit als „vertraulich“ eingestuften Dokumenten sein, was treibt der Senat in den parallel laufenden Verfahren des Kartellamts zu den Wasserpreisen und der EU-Kommission zur Teilprivatisierung etc.? Inhaltliche Glanzstücke erlebte der Ausschuss bislang nur, wenn die zu mehreren Sitzungen geladenen Sachverständigen wie die Vertrauenspersonen des Volksbegehrens Gerlinde Schermer und Rainer Heinrich die Teilprivatisierung aufschlüsselten und analysierten. So kritisierte Schermer die im Vertragswerk festgehaltene Renditegarantie für die privaten Anteilseigner an den Wasserbetrieben, die letztlich dazu geführt hätte, dass Ende 2011 der 1999 erzielte Kaufpreis bereits über die Gewinnabführung an die Privaten zurückgeflossen sei. Würden die Verträge wie beabsichtigt bis mindestens 2028 gelten, werden die Privaten das Dreifache des ursprünglichen Kaufpreises aus den Wasserbetrieben herausholen – und das auf Kosten der Berliner, die seit der Teilprivatisierung ständig steigende Wasserpreise zu zahlen haben.

Rainer Heinrich stellte heraus, dass durch die komplexe Konstruktion der Wasserbetriebe den Privaten die uneingeschränkte Herrschaft über das gesamte Unternehmen überlassen wurde, obwohl sie nur über 49,9% der Anteile verfügen. Das stelle eine Verletzung des grundgesetzlich verankerten Demokratiegebots dar, wonach auch bei Unternehmen der Daseinsvorsorge eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk bis zur Staatshandlung bestehen muss. Das gilt auch bei der Übertragung von staatlichen Aufgaben wie der Wasserversorgung auf Private. Die Legitimationskette werde durch die Konstruktion der Wasserbetriebe unterbrochen. Der Vorsitzende der Verbraucherzentrale Berlin, Prof. Jürgen Keßler, wies in seinem Vortrag darauf hin, dass das Landesverfassungsgericht, das im Jahr 1999 schon einmal auf Betreiben von B90/Grüne und PDS die Teilprivatisierung untersuchte, heute in Kenntnis der offen gelegten Verträge wohl anders entscheiden würde. Wenn nun über eine Organklage aus der Mitte des Abgeordnetenhauses die Verträge für verfassungswidrig erklärt würden, könnte auf zivilrechtlichem Weg deren Unwirksamkeit festgestellt werden. Allerdings sei eine mögliche Rückabwicklung der Teilprivatisierung eine juristische Problemstellung, die Stoff für mehrere Dissertationen böte. Das Referat des Finanzvorstands der Wasserbetriebe, Frank Bruckmann, der zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Teilprivatisierung auf den Landeshaushalt, die Wasserbetriebe und die Bürger sprechen sollte, geriet im Gegensatz dazu eher zu einer langatmigen Rechtfertigung des Status quo.

Wassertisch als unzufriedener Beobachter

Dass der Sonderausschuss bislang eher magere Resultate zeitigte, liegt auch darin begründet, dass er im Gesamtgefüge des Abgeordnetenhauses eine vergleichsweise geringe Priorität besitzt. Parallel zu seiner Einsetzung fanden bis Mitte Juni die Beratungen zum Haushalt 2012/2013 statt. Das bedeutet, dass sowohl die einzelnen Fachausschüsse als auch der Hauptausschuss sich mit dem mehrere hundert Seiten starken Haushaltsplan zu beschäftigen hatten – parallel zum sonstigen Parlamentsbetrieb. Zudem wurde der Sonderausschuss mittlerweile von anderen Entwicklungen überholt. Monatelang verhandelte der Senat hinter verschlossenen Türen mit RWE über einen möglichen Rückkauf der Anteile. Beide einigten sich schließlich auf einen Kaufpreis von über 650 Millionen Euro. Kurz darauf bot auch Veolia dem Land seine Anteile zum Rückkauf an.

Dem Wassertisch bleibt in dieser Konstellation bislang nur die Rolle des unzufriedenen Beobachters, der als Unbeteiligter die Umsetzung „seines“ Gesetzes verfolgen kann. Seine inhaltlich weitaus tiefergehenden Veranstaltungen wie zum Beispiel die öffentlichen „Klärwerk“-Sitzungen, bei denen regelmäßig Teilaspekte der Privatisierung behandelt werden, erfahren längst nicht mehr die Aufmerksamkeit, die ihnen zustünde.

Benedict Ugarte Chacón

Erschienen im MieterEcho 355.


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