Wieder war ein Stück guten Glücks der Übermacht einiger traumloser Gesellen in Regierung und Planwirtschaft zum Opfer gefallen. Und das Volk in seinen Gattern nahm dies hin, nicht alle und nicht alles freilich und auch nicht sofort, aber die allermeisten von ihnen später dann doch. Die märchenhafte Wildnis im endzeitlichen Zauberwald inmitten der weitläufigen Stadt trug den ungeliebten Stempel der Freiheit. Diese grobe Ungewissheit weckte Argwohn nicht nur bei den zuständigen Behörden. Jener verwunschene Ort ist daher längst Geschichte; was von ihm blieb, ist Erinnerung.
Löcher in den Zäunen ringsum dienten als Ein- und Ausgang. Die Menschen betraten das Areal, auch wenn dies selbstverständlich nicht gestattet war. Jeder Übertritt markierte den ungesetzlichen Akt der Selbstbestimmung. Das informelle Naturerlebnis jenseits der engen Häuserschluchten begeisterte seine Entdecker. Verfallende Ziegelbauten aus den Zeiten des bahnwirtschaftlichen Betriebs boten ihren Bewohnern eine karge Heimstatt, natürlich widerrechtlich. Mancheiner, der die Rechthaberei der Einfaltsgesellschaft satthatte, fand hier ein trautes Plätzchen, schlug sein Lager auf, ein Zelt: Improvisierte Heimat fernab von Hype und Habsucht einer zur Gefräßigkeit erzogenen Metropole, Lagerfeuerromantik jenseits des überbemühten Wohlstandsklischees.
Wald sah man dort vor lauter Bäumen nicht. Diese durchaus gesprächigen Zeitgenossen flüsterten ihren heimlichen Besuchern Geheimnisse ins Ohr, und als Zeugen der Melancholie ragten sie weltverloren ins Alles und Nichts der schwer zugänglichen Lichtungen. Buschwerk überwuchs Aufschüttungen und Untiefen. Verkohlte Balken stürzten von den Gemäuern der Ruinen und luden zum Verweilen ein. Rostende Signalmasten signalisierten dem sie belagernden Dschungel die Bereitschaft zu ewigem Ruhestand in Einheit mit Mutter Erde. Und Dunkelheit blieb Dunkelheit, keine Funzel leuchtete Spaziergängern den Weg. Selbst wer ihn kannte, konnte nach Sonnenuntergang rasch die Orientierung verlieren und musste nun den Entschluss fassen, sich einer neuen zu bequemen.
Vielleicht stieß ihn die ungewohnte Losigkeit in eine Not, die ihn nachdenklich machte und ihn am steilen Hang eines erweiterten Bewusstseinstrebens wieder zu sich finden ließ. Vielleicht auch schlich er zu den Wilden ans Lagerfeuer. Man mochte kaum glauben, wieviele Menschen des Nachts in düstrer Wildnis anzutreffen waren. Wer allein sein wollte oder allein unter Gleichgesinnten, suchte sich irgendwo in diesem zentral gelegenen Abseits ein schönes Plätzchen, an das niemals ein Landschaftsplaner Hand angelegt hatte und welches nur genau deshalb alle Kriterien erfüllte, die man sich von diesem Ort versprach: Ruhe, Erholung und Spaß an der Entdeckung.
Wer raus wollte aus dem Trott der Angepassten, folgte einfach dem Schienenverlauf. Verwaiste Gleise aus dem Zeitalter der Industrie führten geradewegs ins ungeplante Durcheinander und entgleisten imaginäre Eisenbahnzüge ins Reich der Fantasie. Die Tore nach Utopia standen weit offen, einen Moment lang nur, einen Augenblick zu lang. Da hätte ja wer weiß was passieren können. Das durfte nicht sein. Abhilfe fand man schließlich in Form einer groß angelegten Grünflächenplanung nebst Bebauung.
In Erinnerung an einen Ort, den es offiziell nie hätte geben dürfen.
Ostprinzessin