Großes Spekulantenlynchen


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Droht Berlin die Normalität anderer Städte? Die Inszenierung „Die Irre von Chaillot“ im Theaterdiscounter begreift Gentrifizierung als Spiegel einer größeren gesamtgesellschaftlichen Entwicklung. Jener, die das wilde politisch Ungemütliche beschneidet und eine leicht gangbare hyperwertkonservative Klientel hegt. Sie diagnostiziert eine ex-exzentrifizierung, bei der es zunehmend mehr um ein Angebot an Karriere fördernden Kindergärten als um die Erhaltung eines für Berlin einst typischen Lebensgefühls geht. Kämpfen wir nicht neben dem Kampf um bezahlbaren Wohnraum einen viel größeren Kampf? Werden wir in einem purifizierten Umfeld leben – oder in einem, das uns gefällt?

Eine Bande Grandes Dames wehrt sich gegen die Vertreibung aus ihrem Bohème-Viertel. „Wir oder Ihr!“ skandieren sie und ertränken die Spekulanten in den Pariser Kanälen. Das Ensemble Mariakron versetzt die unauffällig brutale Boulevardkomödie von Jean Giraudoux von der Seine an die Spree und inszeniert sie als Schlachtfest gegen urbane Durchschnittlichkeit.

Cornelius Schwalm radikalisiert das betulich angestaubte Theaterstück für die lokal-emanzipative Verwertung. Seine Inszenierung diagnostiziert jene sich über Berlin stülpende neuartige Ordnung, die droht, unseren sympathischen Moloch in die politisch-gesellschaftliche Seelenlosigkeit anderer Städte einzureihen. Durch die Aufwertung ganzer Viertel gedeiht eine leicht zufriedenstellende Klientel und die Unbequemen werden an den (Stadt-) Rand gedrückt. Peu à peu werden Freiheit, Chaos und das raue Temperament Berlins überpinselt und glatt geputzt. Schnödes Ruhemonopol der Besitzer statt tönende Clubseeligkeit der Bewohner. Oder zertrampelt der Durchschnittliche die Phantasten, die Lichtscheuen, die Seltsamen, Einsamen, die Träumer und nachgiebig Nicht-Integrierbaren?

Die ausgemachten Zerstörer werden in einem knallharten Schauprozess zum Tode verurteilt und Berlin aus dem Würgegriff befreit. Klappe zu, Kapitalist tot: Die Guten haben über die Bösen gesiegt. So einfach ist das. Die Spekulanten-Makler-Besitzer-Spießer verwesen im Keller, oben errichten wir romantische Inseln. Dem Aufbruch in eine ungewisse, aber neue Zukunft steht am Ende jedenfalls nichts mehr im Wege.

Die Unterdrücker der Menschheit zu bestrafen, ist Wohltat. Ihnen zu verzeihen, ist Barbarei.

Ich spekulier auf eine Bartholmäusnacht, und ehe ich die nicht durchsetze, schmeckt mir der beste Missetäter nicht mehr. Der Kapitalismus, die Kapitalisten, Investoren, Start-Upper, Maschmeyer, Samwer, Koch und wie sie alle heißen, sie alle vernichten den unsichtbaren Menschen, seine Seele. Zurück behalten sie Hüllen. Tausende Hüllen, die sie gegeneinander ausspielen.

Aber das ist nichts Neues, das wissen wir alles. Wir wollen es nur noch einmal wiederholen. Sie behalten nur die Hüllen, und damit sind sie letzten Endes noch viel schlimmer als das Dritte Reich. Da sie so blutleer daherkommen. Das ganze neoliberale Geschwerl, das den Ton dieser Stadt ins Utilitaristische kippen lässt, das die Brachen zubaut. Sie schmeißen Seelen in ihre preisgekrönten Innovationsöfen, in ihre sinnentleerten Humankapitalressourcenverschwendungsunternehmen. Ich verstehe sie nicht, seit Jahren versuche ich sie zu verstehen, aber ich sehe nur Dummheit und Kurzsichtigkeit.

Es ist ein Kulturkampf, Dionysus gegen Klassik. Eine vollkommen neue Form der Arisierung, der Reinmachung, der Säuberungen. Das sind ethische Säuberungen. Sie wollen uns an den Rand drängen, an den gesellschaftlichen Rand, hin zur Bedeutungslosigkeit, so lange, bis wir vom übervollen Teller fallen und schweigen.

Wobei „sie“ keine wirklich klar zu umreißende Masse ist, wie es eben heute so ist, wo es keine klare Gut-Böse-Dichotomie mehr gibt – leider. Denn „sie“, das ist immer auch der bildungsbürgerliche Schauspieler und Regisseur, der sich von Papis Erbe eine Eigentumswohnung am Prenzlauer Berg kauft und sich damit wissentlich zum Schergen jener macht.

Deswegen müssen wir sehen, ob wir auch sie, die aus Versehen, aus Nachlässigkeit, aus Nicht-Mitdenken, ob wir die auch töten sollen oder nicht.

Sie haben die Arbeiter zum Schweigen gebracht, indem sie das Privatfernsehen erfanden. Nun sitzen die potentiellen Revolutionäre von morgen und lesenden Arbeiter von gestern paralysiert vor der Glotze und schauen das Dschungelcamp; anstatt Marx und Zizek zu lesen und darüber zu reflektieren, dass der Kommunismus eine ewige Idee ist, die im Sinne der hegelschen konkreten Allgemeinheit wirkt, werden sie selbst zu Ausbeutern.

Jeder ist schuldig, wir kaufen bei geknechteten, schlecht bezahlten Menschen und sind selbst geknechtet und schlecht bezahlt. Warum gibt es keine Biosiegel für Unternehmen? Warum ist da kein Aufkleber am Verkäufer, der besagt, wo er herkommt, was er verdient, wie er behandelt wird, kurz: ob er ein glücklicher Verkäufer in artgerechter Haltung ist.

Man sollte das Pack, das bei Primark kauft, zu Zwangsarbeit verurteilen. Am besten bei Primark. Man muss gar nicht mehr bis nach Sibirien. Bei Primark arbeiten zu müssen, oder bei Uniqulo, das ist doch dasselbe wie ein Gulag. Nur, glaube ich, gab es da wenigstens ein Kulturprogramm.

Wir schlagen ussere Feinde, die nichts Böses von uns erwarten außer einem schlechten Roman, einer misslungenen Stückentwicklung oder einer dummdreisten Installation, auf die man aber so stolz ist wie ein Kleinkind auf seine eigene Kacke, mit ihren eigenen Mitteln. Wir schlagen zu, Bringen den Krieg, den diese Menschen in ihren Betrieben, Häusern, Start-ups gegen ihre Angestellten, Mieter, Mitbürger führen in das Herz dieser narzisstischen Bestien zurück und löschen sie aus.

Lasst uns diesmal nicht wieder irren und die Falschen vernichten. Diesmal will ich die Richtigen vernichten.


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