Ein Bürgerdeputierter im Sonderausschuss „Spreeraum“ ist irritiert über ein Ultimatum der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung an den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg
In den Monaten nach dem erfolgreichen Bürgerentscheid „Spreeufer für alle“ ist eine lebhafte Diskussion um das „Was“, „Wann“ und „Wie“ bezüglich der Entwicklung vor allem der Friedrichshain-Kreuzberger Spreeufer entfacht. Die unterschiedlichen Meinungen von Experten, Politikern, ökonomischen Interessen und Bewohnern lassen sich nicht von heute auf morgen auf einen gemeinsamen Nenner bringen.
Mit wiederholten Andeutungen im Abgeordnetenhaus machte der Senat bisher unmissverständlich deutlich, dass er nicht willens ist, den Forderungen des Bürgerentscheid Folge zu leisten. Beispielhaft sei hier eine Antwort vom 29.10.2008 auf eine entsprechende Frage zitiert: „Soweit die Ziele des Bürgerentscheids im Rahmen dieser Planungs- und Zielvorstellungen [Leitbild Spreeraum Friedrichshain-Kreuzberg] verwirklicht werden können, wird der Senat den Bezirk bei einer Weiterentwicklung der Planungen unterstützen.“ (Drucksache 16/12 525). Da der Bürgerentscheid aber eine Alternative zu den angestrebten Planungen fordert, heißt das wohl zwangsläufig: Der Senat wird intervenieren, wenn der Bezirk andeutet, die Forderungen des Bürgerentscheids entgegen bisheriger Planungsziele umzusetzen.
Im jüngsten Schreiben der Abt. II der Senatsverwaltung vom 20.02.2009 an Bezirksbürgermeister Dr. Franz Schulz werden nun Nägel mit Köpfen gemacht: Vor dem Hintergrund eines zurückgestellten Bauantrages auf einem landeseigenen Grundstück wird dem Bezirk per Ultimatum mit dem Entzug der Planungshoheit gedroht, um eine Bebauung bis 10m vor die Uferkante durchzusetzen. Dies jedoch widerspricht jeder Vernunft und entbehrt jeglichen politischen Feingefühls. Man kann sich vorstellen, welche Empörung das nicht nur unter Bezirkspolitikern und Bürgerdeputierten hervorgerufen hat. Und auch die Begründung ist nicht nachvollziehbar: Einerseits soll das Leitbild aktuellen Entwicklungen angepasst werden, anderseits aber in seiner Hauptsache unantastbar bleiben? Ist denn das Ergebnis des Entscheids keine aktuelle Entwicklung? Gerade der Rot-Rot-geführte Senat trat doch selbst für eine Stärkung des so genannten Bürgerschaftlichen Engagements ein. Mit dieser Reaktion dreht der Senat jedoch sämtlichen ehrenamtlichen (!) Aktivitäten den Hahn ab. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses Vorgehen auf allgemeine Zustimmung sowohl in der Basis der SPD als auch in der der Linken – ja nicht mal unter den Regierungsvertretern – trifft.
Möglicherweise hat die Berliner Senatsverwaltung da auch was falsch verstanden: Erstens ist „Mediaspree Versenken!“ nicht die Meinung der Bezirksregierung. Zweitens: Hinter „Mediaspree Versenken!“ steckt auch noch der Slogan „Spreeufer für alle!“ Und das Ergebnis des Bürgerentscheids lässt sich sehr wohl in ein alternatives städtebauliches Leitbild fassen, in dem sogar eine urbane Mischnutzung (u. a. Begründung für den Entzug der Planungshoheit im Schreiben an Dr. Schulz) gefordert wird. Schaut man sich hingegen die aktuelle Entwicklung an, die konform mit dem Planwerk Innenstadt geht, wird wohl kaum jemand behaupten können, dass sich hier eine urbane Mischnutzung abzeichnet: Vor allem Büros und Hotels kennzeichnen die Entwicklung (im Gegensatz zu real existierenden urbanen, mischgenutzten Gebieten, wie wir sie vor allem in den wilhelminischen Gründerzeitquartieren finden). Und attraktives Wohnen im hochpreisigen Segment als Ergänzung führt wohl auch nicht gerade zum gewünschten Erfolg. Abgesehen davon habe ich vor Ort noch keine neuen Wohnungsbauten entdecken können. Wie einfach wäre es doch, die Erdgeschosszonen mit öffentlich nutzbaren Funktionen auszuweisen. Das wird ja nicht mal durchgängig zwischen Oberbaum- und Elsenbrücke realisiert.
Wirklich tolle urbane Mischnutzung. Und die Öffentlichkeit wird mit 10 Metern – und letztendlich faktisch halböffentlichem – glatt gelecktem Uferweg abgefrühstückt. Ach, was lasse ich mich hier konzeptionell aus, im Senat will man ja nichts hören!
Wenn die Verantwortlichen berufsbedingt terminlich nicht so eingebunden wären oder ihre Prioritäten anders setzen könnten, würde ich ja am liebsten mindestens 1x im Monat am Spreeufer mit ihnen einen Kaffee trinken gehen und aus ihrem Mund hören, wie Sie sich die Zukunft – städtebaulich, sozial, ökologisch, und vor allem unter Mitnahme der aktiven Bevölkerung – am Standort vorstellen; gemeinsam diskutieren, einfach mal abschalten, querdenken und wirklich innovative Wege beschreiten!
Das Ideal des kooperativen Staats und eine der Prämissen politischer Gestaltungskraft, das „Bürgerschaftliche Engagement“, scheinen in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung als Leitbilder langsam ausgedient zu haben. Es ist für mich einfach unfassbar, dass dort – anstatt gemeinsam mit uns nach Lösungen zu suchen – der politische Machtpoker ausgepackt wird. Warum gibt es keine verantwortliche Person im Senat, die regelmäßig an den Sonderausschusssitzungen im Bezirk teilnimmt? Und wenn die Erörterungen und Verhandlungen im Sonderausschuss nicht als der richtige Weg akzeptiert werden (Bitte WAS wäre dann die angemessene Reaktion der BVV auf den Bürgerentscheid gewesen?): Warum gibt es keinerlei Initiative von Seiten des Senats, ein Diskussionsforum vorzuschlagen, in das auch die Beteiligten vor Ort einbezogen werden? Und warum gibt es kein Verkaufsmoratorium für landeseigene Grundstücke?
Ich betrachte dieses Handeln als Affront und hoffe sehr, dass diese Reaktion noch einmal überschlafen und umgehend revidiert wird, um dann gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Dies würde zumindest ansatzweise von politischer Größe zeugen. Warum investiere ich – als engagierter Bürger im Sonderausschuss – Stunden, Tage, Wochen und Monate meiner kostbaren Freizeit in diese Thematik? Weil sie mir am Herzen liegt (!) und nicht, weil ich irgendeinem Planwerk ans Bein pieseln will! Das haben Experten zur Genüge getan. Ich habe eine Vision einer lebenswerten Stadt und ich trete FÜR etwas ein – nicht GEGEN. Ansonsten könnte ich mir sehr gut vorstellen, wie ich stattdessen meine Freizeit verbringe: Ich bin gerade Vater geworden und möchte die Gesellschaft mitgestalten, in der meine Kinder groß werden.
Ich gehe davon aus, dass diese teilweise als Verdrängungs- und Ausgrenzungspolitik anmutende Vorgehensweise den Verantwortlichen früher oder später auf die Füße fallen wird, möglicherweise früher als ihnen lieb ist, nämlich genauso wie sie die aktive Zivilgesellschaft (zumindest in unserem Fall) mit Füßen treten. Auch im Interesse einer funktionierenden Rot-Roten Landesregierung verbleibe ich noch mit freundlichen Grüßen und großer Hoffnung auf baldige Besserung.
Paul-Martin Richter
PS: Und vielleicht sieht man sich ja doch noch bei einem gemütlichen Kaffee und in funktionierender kommunikativer Atmosphäre.
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Erscheint auch in der aktuellen Ausgabe der MOTZ.
Per Email an: Ingeborg Junge-Reyer (Senatorin für Stadtentwicklung), Harald Wolf (Senator für Wirtschaft), Hella Dunger-Löper, Maria Krautzberger (Staatssekretärinnen SenStadt), Andrea Kosanke (Leiterin des Senatorenbüros SenStadt), Ute Krüger (Persönl. Referentin der Senatorin), Takis Sgouros (Projektsteuerung SenStadt), Almuth Nehring-Venus, Jens-Peter Heuer (StaatssekretärInnen SenWirtschaft), Juliane Witt (Leiterin des Senatorenbüros SenWirtschaft) Regula Lüscher (Senatsbaudirektorin) und Manfred Kühne (Leiter der Abteilung Städtebau und Projekte; Verfasser des Schreibens an Bezirksbürgermeister Franz Schulz)