Ostkreuz (Dekonstruktion)


Auf dem Ostkreuz-Bahnsteig zwischen den Gleisen Richtung Zoo und nach Osten gab’s den besten Kaffee TOGO. Ich bekam den starken schwarzen Saft auf Wunsch klein im großen Becher. Das war reisefreundlich und stark.

Jetzt wird umgebaut, abgebaut, der Denkmalschutz (siehe: „Lehrter Bahnhof“, für dessen „Neugestaltung“ die Erhaltung des so genannten „Bahnhofs Mobiliars“, sprich alte Bänke, Fliesen und Emaile-Schilder zugesagt wurde) ist nach wie vor käuflich: Nichts ist mehr da.

Das Ostkreuz soll auch verglast werden. Die alte, denkmalgeschützte Fußgängerbrücke soll rekonstruiert werden (?!) , das Pflaster auf den Bahnsteigen (in Hessen nennen wir diesen Bodenbelag „Katzeköpp“) wird wohl weichen, der Kaffee wird schwächer werden und die Kunstblumenhändlerin auf dem Bahnsteig gen Erkner wird wohl ihr Handtuch oder ihren Sari schmeißen müssen.

Mir fehlt der alte Bahnhof schon jetzt und als hätte er’s geahnt, schrieb Kurt Tucholsky 1927 in seinem Gedicht „Das Ideal“:

„Aber, wie das so ist hienieden:
manchmal scheint’s so, als sei es beschieden
nur pöapö, das irdische Glück.
Immer fehlt dir irgendein Stück.
Hast du Geld, dann hast du nicht Käten;
hast du die Frau, dann fehl’n dir Moneten –
hast du die Geisha, dann stört dich der Fächer:
bald fehlt uns der Wein, bald fehlt uns der Becher.
Etwas ist immer.
Tröste dich.
Jedes Glück hat einen kleinen Stich.
Wir möchten so viel: Haben. Sein. Und gelten.
Dass einer alles hat: das ist selten.“

Meine Bilder sind bleu à bleu. Das versüßt mir die Erinnerung an die blauen Stunden, die ich an diesem Ort verbracht habe und schwängert mich gleichzeitig mit einer neuen blauen Illusion von blöstlichen Kreuzen, Zügen nach BlauWD und Prinzessinnen.

Good Bye Johnny.

Neuköllner Botschaft


5 Antworten zu “Ostkreuz (Dekonstruktion)”

  1. kann das verstehen, dass man an altbewährtem, gewohntem hängt, mit dem man persönliche erlebnisse verbindet.
    nun muss aber der bahnhof umgebaut werden, denn sonst kracht irgendwann alles zusammen.
    richtig „modern“ soll ja nur ein teil werden, die ringbahnhalle nämlich. über deren notwendigkeit kann man ja streiten, unbestritten jedoch ist, dass das ostkreuz rolltreppen und aufzüge benötigt (barrierefreiheit)!
    zudem gibt es noch so einige alte bahnhöfe, die dem ostkreuz ähneln, schön mit kopfsteinpflaster und holz- oder blechdach. tja, die neuen ähneln sich (angeblich) alle, die alten aber auch 😉

    übrigens, der lehrter bahnhof wurde nicht neu gestaltet, sondern abgerissen.
    (schon 1957)
    wer hat den erhalt des alten mobiliars zugesagt? und wo sollte das denn stehen?

    viele grüße,
    d.

  2. Ja, das Altbewährte… Ich hänge zum Beispiel auch noch an der Groß- und Klein-Schreibung. (Das soll jetzt keine Kritik sein, da das ja im Netz mittlerweile üblich geworden ist 😉

    Ich habe auch nichts gegen Modernisierungen in der analogen Welt: so finde ich den neuen Bahnhof «Südkreuz» (Papestrasse) wesentlich attraktiver als den neuen Zentralbahnhof.

    Richtig: ich meinte natürlich den Lehrter «S-Bahnhof» – und DER wurde auch abgerissen und seine Klinker etc. als Füllmaterial unter der umgebenden Straßen- und Platz-Landschaft verwendet. Die Wiederverwendung seines so genanntes «Bahnsteig-Mobiliars» wurde im Rahmen der Kritik am Abriss des denkmalgeschützten (!) Gebäudes von der DB zugesagt. Es sollte auf dem heutigen S-Bahnsteig aufgestellt werden.

    Grüße, Matthias

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