Heiligendamm, gib acht!


Heimlich, still und leise wird abgerissen, in Berlin – und auch in Heiligendamm! „G8“ will standesgemäß residieren.

Man könnte Heiligendamm auch „Fundus-Brücke“ nennen, denn „Fundus“, eine Immobilienfondsgesellschaft, hat Heiligendamm vor über 10 Jahren aufgekauft, um dort eine Brücken-Funktion zu übernehmen. „Fundus“ versucht, in Heiligendamm die Brücke zur Bevölkerung zu schlagen. Ein schwieriges Unterfangen im etwas steifen und drögen Norden. Und so hatte sich „Fundus“ das vorgestellt:

Nach dem Mauerfall, der Wiedervereinigung von Brüdern und Schwestern, oder wie immer Du das nennen willst, erkennen pfiffige Leute, dass im Osten ein riesiges Investitionsgebiet auf Geld und Geldverwertung wartet. Der Staat, d. h. die Bundesregierung, will diesen Prozess unterstützen und gibt Steuersondervergünstigungen heraus. Damit sich nicht Jeder einzeln darüber hermacht, bieten Immobilienfonds ihre Dienste an, d. h. sie geben Losungen heraus. Während es im Osten hieß: „Die Norm erbracht, die Sonne lacht – das hat die SED gemacht!“, wechselt nun die Losung in „Legen Sie hier Ihr Geld an – und Sie haben in drei Jahren ihre Steuern komplett gespart!“. Was immer aus dem Geld geworden ist, denn weder hatte die SED mit der Sonne wirklich ein Bündnis, noch war das mit den Investitionen so einfach, in jedem Fall sind in diesen Jahren die Steuern nicht an den Staat geflossen, sondern in diese Fonds. Und da wundern wir uns heute noch, dass der Staat pleite ist…

„Fundus“ ist nur einer dieser Fonds. Er unterscheidet sich aber von vielen anderen dadurch, dass ihm ein Mann vorsteht, den man kennen kann. Leider habe ich vergessen, wie er heißt. Mir träumte, ich war mal mit ihm tanzen, in diesem Ballhaus um die Ecke, als das noch ein Zeitfenster in die Vergangenheit war. Herr – nennen wir ihn mal Fischacker – ist ein imposanter Mann mit einer imposanten Frau und vielen gemeinsamen Kindern. Sie leben bescheiden in einem Neubau in der Friedrichstraße, der ihnen gehört. Neulich sah ich das Schlafzimmer ihrer Wohnung in einem Bildband, aufgeräumt natürlich. Es wirkte etwas steif, so wie er damals tanzte, aber auch geheimnisvoll und sehr edel und ausgewählt. Genau soetwas wollte Herr Fischacker auch in Heiligendamm. Er gab ein Hochglanzprospekt heraus, versprach Gewinne und kaufte Heiligendamm auf, um daraus einen Nobelkurort zu machen.

Es dauerte 10 Jahre, um einen Hauch seiner Idee am Horizont zu erkennen. Schuld an der Verzögerung ist der Bürgermeister und der Denkmalschutz, sie lassen ihn nicht gewähren. Auch die Bewohner haben kein Feingefühl. Sie beharren auf dem öffentlichen Zugang zur Ostsee. Heimlich denkt Herr Fischacker: „Mein Gott, hat die Leute der Sozialismus total verwirrt?“ Aber Heike Ohde von der Bürgerinitiative kann immer noch nicht erkennen, warum der Abriss von Villen aus der sog. „Perlenkette“ finanziell sinnvoll ist, denn das Hotel Kempinsky schreibt jährlich 37 Mio. Euro Verlust.

Wartet im Norden jemand darauf, dass der Duft der großen und reichen Welt hier einzieht? Der Salzgeruch der Ostsee ist doch auch ganz schön! Zahlt Eure Steuern an den Staat und lasst die Hütten stehen, wir machen selbst was draus! Man mag uns im Norden für döschig halten, aber wat mut dat mut!

Neulich träumte ich, im Schlafzimmer von Herrn Fischacker zu sitzen. Es fand ein Sit-in statt. Viele Gesichter aus den Debatten um Grundeinkommen und Bürgergeld räkelten sich auf dem Bett, um Rainer Gott herum und auf dem Boden. Es war verhältnismäßig klein dort. Die Leute stritten über den ultimativen Weg. Mein Blick schweifte über die Möbel zum Kunstwerk über dem Bett: „Nebelschwaden vor Kiezdödel“, von Neo Qualm. Ein teures Bild. Und ich frage mich, wo das Geld eigentlich hin ist, dass die Immobilienfondsanleger eingezahlt haben. Und woraus wird eigentlich die Mauer bezahlt, die jetzt um Heiligendamm gebaut wird, damit die führenden Vertreter der Industrienationen beim sogenannten „G8–Gipfel“ in Ruhe beraten können. „G8“ heißt nicht „Gib acht auf deinen G-Punkt“, sondern „Gipfel der acht führenden Industrienationen“. Und mich überkam eine Panik, nicht wegen der Mauer und des Rauchs auf dem Kunstwerk, auch nicht wegen meines G-Punkts, sondern weil ich Angst hatte, dass die da den ganzen Scheiß wiederholen, den Scheiß der Steuersonderabschreibungen, aber diesmal weltweit…!

Und meine Panik kam daher, dass ich mich nicht entscheiden konnte, wo es sinnvoller ist, einzugreifen. Hier im Schlafzimmer bei Herrn Fischacker? Oder auf den Wegen nach Heiligendamm auf die „Gipfelbesitzer“ warten? Bleib ich hier, bin ich nicht da, bin ich da, ist keiner hier. „Wo geh ich hin?“, fragt sich die Osthexe.


3 Antworten zu “Heiligendamm, gib acht!”

  1. Es gibt einen interessanten Aspekt an diesem Heiligendammer Treffen, der es von anderen polit. Entwicklungen wesentlich unterscheidt. Nämlich dass die verschiedenen Skandalebenen so offen vor Augen liegen. Beispielsweise hat bisher noch jeder, mit dem ich über dieses Thema gesprochen habe, das eine oder andere an der Veranstaltung schlicht skandalös gefunden. Ob es meine Mutter war, oder mein Kollege…
    Ein ungewöhnlich grosses Potential also. Denn viele – auch der auf dieser Site beschriebenen – Missstände erreichen oft nur wenige. Aber dieses Treffen macht wirklich überpropoertonal viele wütend – birgt Potential.

    Ein griffiger Slogan fehlt.

    Man sollte Aufkleber, Buttons oder Wollmützen oder was weiss ich… bedrucken und vor den U-Bahnen oder sonstowo verkaufen. Das würde vielen endlich die Möglichkeit geben, Ihre Wut sichtbar zu machen. Da würden viele mitmachen, Das könnte richtig einschlagen.

    Nun ja, es gibt ja auch andere Gruppen, die sich schon dem Thema angenommen haben. Falls jemand etwas von so einer Aktion weiss, kann er es hier ja vielleicht mal berichten meint DR. WEST.

  2. In der taz hat es dazu in letzter Zeit einige Texte zum G8-Hotel udnd em Denkmalschutz gegeben, unter anderem eine Reportage. Das Interessante an diesem Ort ist tatsächlich, dass die ganze Zeit über den großen Zaun geredet wird, der die Gipfelgegner vom G8-Gipfel fernhalten soll, aber nicht über diese gated community, welche sich Fundus da aufmacht.

    Wie heißt es doch in der Reportage Drei-Tage-Zaun am Ostseestrand:

    „Vielleicht kommt dieser Gleichmut daher, dass der millionenteure Zaun nach drei Tagen wieder verschwinden wird. Anders sieht es mit den kleinen Zäunen aus. Kniehoch sind sie und nicht annähernd so spektakulär wie der Gipfel-Zaun. Sie sind’s, die die Menschen auf die Barrikaden treiben. Zäune, die keine Staatschefs schützen sollen, sondern wohlhabende Urlauber.“

    http://www.taz.de/pt/2007/02/06/a0156.1/text.ges,1

    Und dann diese Lügen, hier mal eine Stelle aus dem einem Interview „Abriss für G-8 ist schändlich“ in der taz von Daniel Schulz mit Gottfried Kiesow von der Stiftung Denkmalschutz:

    „Die Fundus-Gruppe verbreitet Unwahrheiten. Ich habe dem Abriss einer Villa für den G-8-Gipfel nie zugestimmt. Auch nicht dem der anderen zwei Häuser, die von der Denkmalbehörde Mecklenburg-Vorpommerns leider zum Abriss freigegeben wurden. Ich bin sauer, dass mein Name mit diesen schändlichen Taten in Verbindung gebracht wird.“

    Das ist schon der Hammer, was da abgeht und das in dem Landstrich wo es lange Zeit noch Leibeigenschaft gab und Adelsherrschaft, da hat das schon ein besonderes Geschmäckle.

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