Beobachtungen rund um Heiligendamm
Nehmen wir einmal an, es gäbe in diesem Land eine Demokratie und Gesetze, die mehr sind als bloßer Anschein. Angela Merkel und ihr westdeutscher Kettenhund im Innern testen was geht, Demokratie hin oder her. Es begann vor Heiligendamm mit den Razzien in verschiedenen linken Zentren in Hamburg, Berlin und Bremen. Ziel war einerseits, Aufschlüsse über die linken Netzwerke zu bekommen, andererseits im Vorfeld des G8 die Angst vor den „Terroristen“ und „Chaoten“ zu schüren, um dann beim G8 möglichst hart durchgreifen zu können. Kritik und Protest an der Politik soll, wie zu besten DDR-Zeiten, mundtot gemacht werden. In der Verbotsbegründung zum Sternmarsch hieß es beschönigend, dass Delegierte sich durch die Nähe des Protests „emotional gestört fühlen“ könnten und dass „gute Beziehungen“ zu anderen Staaten damit „gefährdet“ seien. Das im Grundgesetz verankerte Demonstrationsrecht wurde somit außer Kraft gesetzt.
Aber zurück zu den Razzien, der Phase Eins im Plan der konservativen Kräfte, zur Protestunterdrückung und zum Demokratieabbau: Entgegen der von der Bundesregierung geplanten Kriminalisierung des Protestes, hinterfragte auch die bürgerliche Presse die Rechtmäßigkeit der Durchsuchungen. Die Phase Zwei des antidemokratischen Vorgehens bestand dann im Hochspielen des weitgehend friedlichen Protestes der Großdemo in Rostock am 2. Juni. Hantiert wurde mit einer Zahl von verletzten Polizisten und Polizistinnen, die von um die 500 später auf 2 sank, wovon einer sich den Fuß vertreten hatte. Zunächst wurde auch versucht, die kritische Presse aus Heiligendamm fernzuhalten, indem das Bundespresseamt z. B. Journalisten der TAZ und der polnischen Le Monde Diplomatique die Akkreditierung verweigerte. Nach der Entdeckung von „agents provocateurs“ der Polizei bei den Blockaden muss man sich fragen, ob nicht schon bei der Großdemo solche eingesetzt wurden. Recherchiert man unter den von der Eskalation Betroffenen, ergibt sich folgendes Bild: Ein Polizeiauto mit Verkehrspolizisten steht im Weg, als der Schwarze Block und der Laustprecherwagen der Interventionistischen Linken (IL) am Stadthafen, dem Ziel der Demo, ankommen. Während die Demo vor der Auflösung steht, stürmen einige Vermummte auf den Polizeiwagen zu und attackieren ihn. Die Polizei fährt aber nicht weg, sondern lässt im Wagen den Angriff in aller Ruhe über sich ergehen. Ein Polizeitrupp mit Helmen und Bewaffnung beginnt, den Lautsprecherwagen der IL zu attackieren, dabei werden die Ordner des Lautsprecherwagens schwerverletzt. Auch auf dem Platz setzt die Polizei wenig von der angekündigten „Deeskalation“ um. Immer wieder stürmen Gruppen von Polizisten und Polizistinnen – behelmt und bewaffnet – durch die friedliche Menschenmenge. Zum Schluss werden Wasserwerfer eingesetzt. In der Presse dominierten Bilder und Berichte von Gewalt; vom überwiegenden Protest der über 80.000 Menschen keine Spur.
Wie auch immer, der „Giftzwerg im Rollstuhl“ hatte seine gewalttätigen Bilder beisammen. Nun konnten alle weiteren offiziellen Proteste unter Verweis auf die gewalttätige Lage verboten werden und auch der in Zukunft geplante Bundeswehreinsatz im Innern würde nun gut begründbar sein. Dennoch aber wurde der bayrische Einsatzleiter der Großdemo durch einen Berliner Kollegen ersetzt. Offensichtlich wollte man sich solche Eskalationen nicht weiter leisten. Denn zugegebenermaßen steht man als verantwortlicher Politiker in einer Demokratie doch blöd da, wenn andauernd friedliche Proteste niedergeknüppelt werden. Allerdings war die Bundeswehr schon vor Ort, als ob es sich um einen Testfall gehandelt hätte. „Amtshilfe“ hieß es da so schön im Amtsjargon. Worin diese nun genau bestand, wollen jetzt einige Parteien im Nachhinein von der Bundesregierung erfahren. Hinter der „Amtshilfe“ steht jedoch eines: Eine antidemokratische Regierung mit einer Politik, die in keinster Weise für die Menschen, die Bevölkerung steht, sondern unrechtmäßig die Habe weniger verteidigt, wird eines großen Schutzes bedürfen und ihre Interessen mit absoluter Gewalt durchsetzen müssen – dem Militär.
Auch erhoffte man sich die Spaltung der linken Bewegung. Allerdings sind auch die einzelnen Organisationen und Netzwerke derart pluralistisch, dass eine Spaltung für viele nicht infrage kommt. Protest kann viele Formen haben, Hooligans sind auf jedem Fußballplatz zu finden und last but not least ist der Kapitalismus selbst ein gewalttätiges System: Großflächig werden einzelne Existenzen bedroht und vernichtet. Die kapitalistische Ausbeutung hat viele Formen, subtil-psychologisch bishin zu Angriffskriegen reicht die Palette an Maßnahmen gegenüber denen, die nicht konform sind oder wertvolle Rohstoffe besitzen. Diese schönen Pläne zur Diskreditierung und Spaltung des Protests erlitten eine weitere Niederlage, als offensichtlich wurde, dass zumindest bei den Blockaden „agents provocateuers“ eingesetzt wurden. Bei den Blockaden leistete man sich die größte Schlappe, denn der Vielfalt und Menge an Demonstrantinnen und Demonstranten war kein Polizeieinsatz gewachsen. Auch die Solidarität des Widerstandes und die wachsende Unterstützung durch die Bevölkerung, nachdem im Vorfeld die Panik vor dem Protest geschürt worden war, spricht Bände und läßt die Politik wirklich alt aussehen.
Strategisch sind die Rollen wie folgt verteilt: Als Anheizer und systemischer Wegbereiter des Neoliberalen Reichs fungiert der Bundesminister des Innern, Wolfgang Schäuble. Seine Beteiligung an der CDU-Spendenaffäre scheint seiner politischen Karriere keinerlei Abruch zu tun, vielmehr ist er nun „der Mann fürs Grobe“. Frau Merkel hingegen arbeitet an der Schönwetterfront und versuchte jüngst sogar, den Protest für sich zu vereinnahmen, allerdings eher in Worthülsen denn in Taten. In Wahrheit versuchte Heiligendamms Gastgeberin, den breiten Protest zu verhindern, und auf dem Gipfel gab es nur Beschlüsse, die weniger sind als ein Versprechen. Viele wichtige Themen kamen erst gar nicht auf die Tagesordnung.
Auch in den weiteren Polizeieinsätzen erwiesen sich besonders die süddeutschen Einheiten als Hardliner. So wurde die Blockade am Westtor am letzten Tag mit neun Wasserwerfern geräumt. Die Wasserwerfer schossen alle auf einmal und mit hohem Druck. Dabei gab es mindestens zwei Schwerverletzte – ein für einen friedlichen und rechtmäßigen Protest in keinem Verhältnis stehendes Vorgehen. Für mich persönlich war besonders interessant, die unterschiedlichen Handlungsweisen der Polizei zu beobachten. Neben den Provokationen und Eskalationen seitens der Polizei, gab es nämlich Einheiten und Einsatzleiterinnen, die differenzierter vorgingen und dem Protest mit Sympathie begegneten. Für die Polizei wie für die Bundeswehr gilt nämlich nicht nur der Befehl, sondern auch die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz.
Das Komitee für Grundrechte und die Linke wollen nun den Protest aufarbeiten und den Verantwortlichen kritische Fragen stellen. Es bleiben die Fragen nach Demokratie und zukünftigen Protestformen.
Malah Helman