Falsch rechnen, um zu privatisieren?
Kalkulatorische Kosten – der konstruierte Zwang zur Privatisierung öffentlichen Eigentums
Die neoliberale Politik der Genoss_innen der rot-roten Koalition nimmt exzessive Züge an. Die Kleinen Leute, so stand in der jüngst veröffentlichten Wowereit-Autobiographie zu lesen, könnten oft nicht mit Geld umgehen. Kann es der rot-rote Senat?
Wilde Finanzkonstruktionen der SPD, wie im Falle der Wasserbetriebe oder auch die sog. Kalkulatorischen Kosten für öffentliche Gebäude, führen zu weiteren Verlusten und Belastungen öffentlichen Eigentums. Nachdem das Tafelsilber wie die Berliner Wasserbetriebe oder die Sparkasse bereits verkauft wurden, kommen nun öffentliche Gebäude wie Schulen oder Jugendeinrichtungen an die Reihe. Der Senat zwingt die Bezirke seit Neuestem neben einer Kapitalverzinsung für seine Gebäude auch noch zu einer falschen Bewertung dieser. Die Folge ist ein massiver und konstruierter Privatisierungszwang von öffentlichen Gebäuden.
Die Debatte um eine „Kapitalrendite“ für öffentliche Wohnungsbauunternehmen, die unser Finanzsenator Sarrazin (SPD) wieder einmal gestartet hat, sorgt vielleicht in einem systemkonformen neoliberalen Kontext nicht mal mehr für Überraschung. Aber auch schon hier ist ein gesellschaftspolitischer „Umbau“ des Staatsauftrages angelegt. Anstatt seinem sozialen Auftrag einer öffentlichen Daseinsvorsorge und – im Beispiel der Wohnungsbauunternehmen – der Durchsetzung des Menschenrechts auf Wohnen gerecht zu werden, verändert sich der Auftrag im Sinne einer Renditeerzielung. Bei der vorliegenden Konstruktion der Kalkulatorischen Kosten für öffentliche Gebäude verschiebt der Finanzsenator die Grenzen des neoliberalen Kontextes jedoch noch auf zwei weiteren Ebenen: Er erfindet einerseits ein völlig absurdes, scheinbar betriebswirtschaftlich „neutrales“ Rechensystem, dessen Aufgabe es letztendlich ist, die Lösung „Privatisierung“ am Ende auszuspucken und er greift andererseits in die Konstruktion von öffentlichem Raum ein, der sich von nun an am „Mehrwert“ des Marktes zu orientieren hat. Auch öffentlicher Raum – im Sinne des Raumes für Begegnung von unterschiedlichen sozialen Gruppen oder im Sinne eines staatlichen Bildungsauftrages – hat sich der Renditeerwartung zu unterwerfen. In Lichtenberg, Reinickendorf, Spandau und Treptow-Köpenick bastelte man mit senatsgeförderten Modellprojekten an einer Teilprivatisierung der Schulen. Eine Bankrotterklärung staatlicher Daseinvorsorge und ein einschneidender Demokratieabbau würden die Folge sein.
Seit 2006 müssen die Bezirke für ihre Gebäude eine fiktive Kapitalverzinsung, die sog. Kalkulatorischen Kosten, an den Senat überweisen. Diese soll nichts Anderes darstellen als die von jeder Mietabrechnung allseits bekannte Kaltmiete. Man kann sich hier zwar fragen, ob der Besitz von öffentlichen Gebäuden nicht grundsätzlich davor bewahren sollte, überhaupt Miete zu zahlen. Aber seitdem das System darin besteht, sich gegenseitig Kostenstellen aufzurechnen, ist Alles etwas komplexer geworden – ob auch sparsamer, ist die Frage. Während sich jedoch alle privatwirtschaftlichen Immobilienbetriebe bei der Berechnung der Kaltmiete immer auf den Marktwert beziehen, kramte der Senat tief in seinen historischen Unterlagen und legte fest, dass die Gebäude nach ihrem historischen Bauwert bewertet werden. Das Ausmaß der absurden Rechenlogik wurde von der Initiative Zukunft Bethanien (IZB) im Zusammenhang mit dem erfolgreichen Bürgerbegehren gegen die geplante Privatisierung des Bethanien ausführlich thematisiert. Im Fall des Bethanien-Hauptgebäudes wird der Verkehrswert, also der Preis, der sich vermutlich durch einen Verkauf des Gebäudes realisieren lässt, auf einen Betrag von 2,6 Mio. € bemessen. Der historische Bauwert – oder Wiederbeschaffungswert – hingegen beläuft sich auf 32 Mio. €. Für die Bezirke hat diese Regelung zum Teil einschneidende Auswirkungen: Allein wegen ihrer Schulgebäude (ohne Gymnasien) müssen die Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg (- 2,66 Mio. €) und Lichtenberg (- 1,91 Mio. €) jährlich beträchtliche Einsparungen leisten. Für die Kreuzberger Eltern, denen auf Grund der entstandenen Haushaltslöcher das Familienzentrum geschlossen wird, hat sich die Fantasie- und Rechenwelt eines Herrn Sarrazin schnell in ihrem Alltag eingefunden.
Die Lösungsstrategien der Bezirke sind dabei nicht ungewöhnlich und systemimmanent vorgegeben. Diese haben immer einen Demokratieabbau zur Folge: Der Verkauf öffentlicher Gebäude über den Liegenschaftsfonds Berlin oder aber die Übergabe der Gebäude an die Berliner Immobilienmanagment GmbH. Der Liegenschaftsfonds Berlins wurde 2001 gegründet und hat den Auftrag, öffentliche Gebäude dem Kapitalmarkt zur Verfügung zu stellen. Exakt 637 Objekte verkaufte er 2006 für den Preis von 201 Mio. €. Nach der falschen Bewertung, die der Berliner Senat den Bezirken vorschreibt, wäre das ein Immobilienpaket von exakt zwei Gebäuden – das Rathaus in Charlottenburg (145 Mio. €) und die Carl-von-Ossietzky-Schule in Kreuzberg (55 Mio. €). Eine andere Option, die der Senat den Bezirken in Aussicht stellt, ist die Übergabe an die Berliner Immobilienmanagement GmbH. Diese steuert dann zentral über Marktpreise die Vermietung auch an soziale Einrichtungen.
Letztendlich bedeutet diese Lösung die Beschneidung von bezirklichen Kompetenzen. Die hier vorgegebene politische Richtung wurde auch schon im Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichtes über die Sanierungshilfen des Bundes für Berlin im Oktober 2006 angedeutet, in dem der Stadtstaatenvergleich mit Hamburg gezogen wurde: Die Abschaffung der Bezirke. Auch hier kann dem Finanzsenator nur zugestimmt werden: Demokratie ist natürlich teurer. Falls der Auftrag des Staates eine kosteneffiziente Mittelzuteilung ist, sollten die Bezirke natürlich abgeschafft werden und das letzte Bisschen an demokratischer Folklore natürlich gleich mit.
Daniel Zöllinger
In der E.O. Plauen-Schule in Kreuzberg fand zum Thema eine Veranstaltung statt, die vom Bezirksamt und der Initiative Zukunft Bethanien organisiert wurde. Der Bezirk war dazu über das Bürgerbegehren verpflichtet worden. Er warb nur sehr verhalten für die Veranstaltung und leider nahm seitens des für die Kalkulatorischen Kosten verantwortlichen Senats nur der für die Budgetzuweisungen zuständige Herr aus dem Finanzsenat teil, die politischen Vertreter_innen entzogen sich komplett ihrer Verantwortung.
Die Veranstaltung wurde vom Stadtsoziologen Andrej Holm moderiert. Ein unabhängiger Finanzexperte kritisierte die Verwerfungen des jetzigen Systems genauso wie der Bürgermeister Franz Schulz (Grüne), der überraschend leidenschaftlich für eine Abschaffung der Kalkulatorischen Kosten warb. Die Finanzstadträtin Sigrid Klebba (SPD) hingegen zeigte sich im Wesentlichen als streng auf Linie der Senats-SPD getrimmt. Der Senatsvertreter entzog sich sämtlichen kritischen Nachfragen des Publikums mit neoliberal geschulten Aussagen über sog. „Produkte“ und „Stückzahlen“, womit hier die Schulen und Schüler_innen gemeint waren.
Ohne weitere Worte…