Wohn- und Kulturprojekt in der Rigaer Str. 94 von Räumung bedroht
Im Zuge der Besetzungswelle 1990 wurde das Hinterhaus und der Seitenflügel in der Rigaer Str. 94 in Friedrichshain besetzt, mit dem sich die Bewohner den Raum zum Leben, für politische und unkommerzielle Projekte aneigneten. 1992 wurden Verträge für die Rigaer94 abgeschlossen, um das Projekt zu legalisieren. Der zugesprochene Rahmenmietvertrag wurde im Nachhinein durch das Gericht wieder aberkannt. Im November 2000 kaufte Suitbert Beulker das Haus. Die Bewohner treten seither für die Autonomie ihres Projekts ein.
Seit 7 Jahren versucht S. Beulker das Wohn- und Kulturprojekt aus der Rigaer Str. 94 zu vertreiben. Bisher stieß er jedoch immer auf die Widerspenstigkeit der Bewohner, die nicht hinnehmen, dass ihnen der neue Eigentümer ihre Wohn- und Projekträume entziehen will.
Neben unzähligen Angriffen durch die Polizei, Räumungsversuchen und etlichen Kündigungen der Mietverträge kam es schon im September 2002 zu einer größeren Räumung. Die Ladenflächen der besetzten Kneipe „Kadterschmiede“ wurden von einem martialischen Aufgebot der Polizei geräumt. Die Kneipe besteht seitdem nur noch in den Räumen des Seitenflügels und des Hinterhauses. Dort finden noch immer unkommerzielle Parties, Informationsveranstaltungen und Volksküchen statt. Die „Kadterschmiede“ ist eine von wenigen übriggebliebenen alternativen und selbstbestimmten Räume in der Straße. Ziel ist es, Freizeitmöglichkeiten, (politische) Bildung und Essen zum Selbstkostenpreis anzubieten, ohne daran Profit zu schlagen.
Im Juni dieses Jahres erwirkte S. Beulker neue Räumungsklagen gegen die noch besetzten Räume im Haus. Davon betroffen sind das gesamte Erdgeschoss und die Kneipe, große Teile des 1. und Teile des 2. Stocks. Es ist damit zu rechnen, dass die Räumung bald vollstreckt werden soll. „Kommt es zu einer Räumung, verlieren wir nicht nur unsere Kneipe und ein paar Wohnräume, dann steht unser gesamtes Projekt auf dem Spiel“, so ein Bewohner.
Die sich zuspitzende Situation um das räumungsbedrohte Projekt Rigaer94 ist allerdings nur ein Teil der neuesten Konflikte in der linken Szene, um die sich neue Proteste und Widerstände formieren. Die Räumung des Ungdomshuset in Kopenhagen oder die Versteigerung des symbolträchtigen Wohn- und Kulturprojekts Köpi sind Anlässe für erneute Demonstrationen zum Thema Freiräume, mit mehreren tausend Teilnehmern. Neben der Köpi sind in Berlin weitere Projekte, so die Liebigstr.14, die Liebigstr.34, die Rigaer Str.78, „Schwarzer Kanal“ und die Brunnenstr. 183 massiv von Räumung und Vertreibung bedroht.
Diese Vertreibungspolitik geht offensichtlich auf das Konto von Umstrukturierungsprogrammen wie beispielsweise dem „MediaSpree-Projekt“, durch die nicht nur linke Projekte auf den „Prüfstand“ kommen, sondern generell finanziell schwächere Menschen durch Aufwertungen und Mieterhöhungen in die Randbezirke gedrängt werden. Ebenso haben diese Menschen stetig weniger Zugang zu Bildung, Freizeiteinrichtungen, Kultur und medizinischer Versorgung und werden bis in die Obdachlosigkeit getrieben. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird zusehends größer.
Die Widerspenstigkeit der linken/autonomen Hausprojekte scheint eine der größten Hürden für Investoren und Spekulanten zu sein. Da die Projekte sich oft ganz bewusst und konsequent gegen Stadtumstrukturierungen, Aufwertungen mit anschließenden Mieterhöhungen wehren und zum Teil Eigentum an und für sich in Frage stellen. So bleiben auch die Bewohner der Rigaer94 nach 17 Jahren ihres Bestehens immer noch widerständig, wehren sich gegen Kündigungen und Vorhaben des Vermieters und machen jederzeit mobil, wenn es zu Angriffen auf ihr Projekt kommt, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Am 19. Juli z. B. demonstrierten spontan über 50 Menschen vor das Wohnhaus vor S. Beulker, um gegen sein Vorgehen und für den Erhalt der Rigaer94 zu protestieren. Grund dafür waren die neuen Räumungsklagen und vor Allem das Verbot einer angemeldeten Demonstration der Bewohner und Sympathisanten. In Zukunft ist wohl mit weiteren Aktionen rund um das Projekt Rigaer94 zu rechnen.
„Nach wie vor kämpfen wir für die Autonomie unseres Projekts Rigaer94, sowie für einen neuen Rahmenmietvertrag für das gesamte Projekthaus. Wenn auch nur eine Wohnung in unserem Haus geräumt werden sollte, steht unser gesamtes Projekt auf der Kippe. Wir werden daher Alles daran setzen, unser Hausprojekt zu verteidigen. Unsere Interessen stehen nuneinmal im krassen Gegensatz zu denen unseres Vermieters, einer jeden Vermietung. Wir sehen Wohnraum als elementares Grundbedürfnis eines jeden Menschen, der genau wie Bildung, Kultur und medizinische Versorgung, jedem Menschen gleichermaßen zur Verfügung zu stehen hat, ohne dass daran Kapital geschlagen wird. Vermieter hingegen wollen aber möglichst viel Kapital an unseren Bedürfnissen gewinnen und treiben daher Mieten in die Höhe, gerade wenn die Nachfrage an Wohnräumen und attraktiven Stadtvierteln im Zuge von Aufwertungen und Umstrukturierungen steigt. Genau dafür – Kapitalismus – haben wir kein Verständnis (…)“
Soziale und unkommerzielle Freiräume aufbauen und verteidigen!
Wir gehen keinen Schritt weiter zurück – Rigaer94 bleibt!
Max Klee
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