Nachkriegszeit in Berlins Mitte
Die Ruine des Palastes der Republik bleibt standhaft
Von unserem Korrespondenten Peter Gärtner
BERLIN. Ein Hauch von Bagdad liegt über der Berliner Spree-Insel. Wie schwer getroffen dümpelt am Ufer der längst abgetakelte Vergnügungsdampfer. Martialisch wirkende Stahträger ragen in den grauen Himmel, riesige Kräne scheinen den Rumpf noch einmal für eine letzte Reise aufrichten zu wollen.
Doch eher ist das Gegenteil der Fall: Der einstige DDR-Renommierbau Palast der Republik wird – allerdings ziemlich behutsam – weiter demontiert. Nur noch wenige komplette Fassadenteile lassen erahnen, dass dieser mächtige Riegel viele Jahre ein heftig umstrittenes Symbol war. Jetzt erinnert er eher an einen Bau-Körper, der nach und nach abgenagt wird.
Für manche ist dieser triste Rest gleichwohl ein Hort voller DDR-Erinnerungen an gepflegte Speisen und gehobene Unterhaltung, für andere schon immer ein ziemlich schäbiges Baumonster, für das einst die wiederaufbaufähigen Kriegsreste des Hohenzollern-Stadtschlosses weichen mussten.
Dieser Riss dürfte nicht mehr zu kitten sein. Denn seitdem klar ist, dass sich die Abrissarbeiten um mindestens ein weiteres Jahr hinziehen werden, geht das muntere Geplänkel in eine neue Runde: Die einen freuen sich diebisch über die Standfestigkeit der Ruine, die eigentlich schon im kommenden Frühjahr verschwunden sein sollte. Die anderen wittern sozialistische Nostalgiker in den Baufirmen und nicht zuletzt im SPD/PDS-Senat, die alles daran setzen, die Erinnerungen an gar nicht so schlechte Zeiten in den Cafés, Bars und Restaurants und auf den Bühnen des Palastes so lange wie möglich zu konservieren.
Tatsächlich gibt es hier nichts mehr zu erhalten. Die auffälligen Kugelleuchten im Foyer, die dem Gebäude den Spottnamen „Erichs Lampenladen“ einbrachten, sind ebenso schon lange verschwunden wie die helle Natursteinverkleidung, die großen Wandgemälde und aufwändigen Deckenverkleidungen. Dennoch klingt der Bauleiter, als habe er es mit einer handfesten Verschwörung zu tun. „Wir finden Asbest immer wieder an Stellen“, ließ Michael Möller mitteilen, „an denen er technisch gesehen überhaupt keinen Sinn hat.“ Die Folgen liegen auf der Hand: Die Arbeiten finden unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen statt, ganz sacht müsse man in Schutzanzug und unter Vollmaske vorgehen.
Und weil Handarbeit ihren Preis hat, sind die Kosten allein für die Asbestsanierung von den ursprünglich veranschlagten 51 Millionen Euro auf rund 95 Millionen Euro geklettert. Ob damit das Ende der Fahnenstange erreicht ist, darauf will sich im Bausenat niemand festlegen. Möller rechnet jedenfalls mit weiteren brisanten Funden.
Rund 30 Jahre nach der Eröffnung des einstigen Prunkbaus durch SED-Chef Erich Honecker hatte der Bundestag am 19. Januar dieses Jahres den Abriss verfügt. Die große Mehrheit der Abgeordneten sprach sich für die Errichtung einer leicht verkleinerten Kopie des Stadtschlosses samt „Humboldt-Forum“ für Wissenschaft und Kultur aus. Allerdings fehlen für die neuen, nachempfundenen Schlossfassaden noch ein Bauherr, ein Nutzungskonzept, das notwendige Kleingeld (die Kosten werden auf 700 bis 1200 Millionen Euro geschätzt) und ein Entwurf. Die Berliner Behörde hofft immer noch, ein kleines Geschäft zu machen. Die rund 21 000 Tonnen Stahl sollen die Abrisskosten (bis zu 20 Millionen Euro) um mindestens ein Zehntel senken. Da für einen Neubau in absehbarer Zeit kein Geld vorhanden ist, soll nach dem Abriss-Ende erst einmal Gras über die Fläche wachsen.
Angesichts der neuerlichen Verzögerungen wünscht sich der frühere Bürgermeister von Mitte und jetzige Wirtschaftsstadtrat Joachim Zeller (CDU) ein Dauer-Volksfest als Zwischennutzung statt einer jahrelangen Grünanlage. „Ballast der Republik“ wird das Stahlskelett inzwischen genannt, und ein älterer Besucher drückt aus, wie viele den Anblick empfinden: „Man fühlt sich hier wie vor einer Ruinenlandschaft der Nachkriegszeit.“
via Weser Kurier