Desillusioniert, aber von vollem Herzen


Zu den Olympischen Spielen 1936 sollte Berlin „zigeunerfrei“ sein, die Berliner Sinti und Roma wurden in das Zwangslager Marzahn deportiert, von wo aus die meisten nach Auschwitz in den Tod geschickt wurden.

Zu den Feiern des 60-jährigen Bestehens Deutschlands im Jahr 2009 soll Berlin „zigeunerfrei“ gehalten werden. Die Roma und Sinti, die nach Berlin fliehen, werden in das in einem Spandauer Industriegebiet gelegene „Ausreisezentrum Motardstraße“ verbracht. Der Wunsch des Senats und weiter Teile der Bevölkerung: Die Rückkehr der Roma, zum Beispiel nach Rumänien. Doch dort – wie auch in manchen Ländern des Balkans oder in Ungarn und Tschechien – stehen Viele vor dem Nichts. Und dies ist seit Generationen traurige Tradition: Roma werden von der Infrastruktur ausgeschlossen – Wasser, Strom und Bildung werden ihnen von der Administration vorenthalten, ganze Stadtviertel nicht an die öffentliche Struktur angeschlossen. In vielen Geschäften werden Roma nicht bedient. Die allgegenwärtige, sich verschärfende Armut führt indes dazu, dass ein aufgehetzter, rechter Mob „Säuberungen“ durchführt: Häuser brennen, Mordkommandos machen Jagd auf Roma.

Währenddessen heizt die Boulevardpresse in Berlin die Stimmung gegen die in die Stadt gekommenen Roma so sehr an, das auch hierzulande wieder mit Pogromen gerechnet werden kann. Differenziert wird dabei selten. Roma seien quasi naturgemäß verwildert, verwahrlost, kriminell, aggressiv und unverschämte Schmarotzer. Die real existierende Existenznot wird als Bettelmasche verniedlicht, die realen Lebensbedingungen in Mittel- und Osteuropa stets unterschlagen. Und historische Verantwortung? Nein, die muss man in Deutschland mit der Lupe suchen, wenn es um Roma und Sinti geht. Auch die Roma-Organisationen erweisen sich heute als wenig hilfreich; in der Praxis sind die Erfahrungen mit ihnen eher schlecht.

Die Verantwortlichen in der Bundesrepublik drücken sich bequem um konstruktive Lösungsvorschläge herum. Roma haben keine große Lobby und hatten sie auch noch nie, wenn es hart auf hart kam. „Rassistisch Verfolgte sind keine Touristen – Übernehmt endlich Verantwortung für Sinti und Roma“, mahnten daher die Unterstützer der Roma, die auf ihrer Suche nach Hilfe in der Not bei einer katholischen Gemeinde in der Kreuzberger Wrangelstraße aufschlugen. Doch die beharrte darauf, dass sie vorab hätte liebevoll um Hilfe gebeten werden müssen. Die sie dann selbstverständlich ausgeschlagen hätte, wie man vermuten muss, denn die Gemeinden, die von den Unterstützern bereits im Vorfeld angefragt worden waren, signalisierten alles Andere als christliche Nächstenliebe.

Keine Touristen Die Kirche ist geöffnet Zur Freiheit befreit (?)

„Zur Freiheit befreit“ – dieser hübsche Spruch entpuppt sich als Fake. Die Flyer auf den Kirchentischen lügen sich so schamlos ins Papier wie das Grundgesetz der 60-jährigen Nation, wenn es in Artikel 3 behauptet: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Die wenigen Gemeindemitglieder, die am 28. und 29. Mai den kurzen Weg in ihre Kirche fanden, bestärkten den ohnehin hasenfüßigen Pfarrer Polossek in seiner Haltung, ein menschliches Zeichen der Barmherzigkeit zu vermeiden. Manche wetterten so arg gegen die Roma, dass es schlussendlich keine andere Möglichkeit mehr geben konnte, als den Hort christlicher Abgründe zu verlassen. „Ihr erfüllt alle Klischees, die man über euch hat“, polterte Pfarrer Polossek gegen die Unterstützer und ihren „unfreundlichen Akt“. Aber kann er darin wirklich sicher sein?

Die Realität würde ihn später noch Lügen strafen – genauso wie sie es bei einer zunehmend aufgekratzten Katina Schubert vom Sozialsenat tun würde, die in einer unwirschen Minute brüllend aus der Diskussionsrunde im Gemeinderaum rannte: „Mit euch kann man doch gar nicht reden! Ihr interessiert euch doch nur für euren Dreck!“ Zuvor hatte sie bereits gezetert: „Wenn ihr jetzt nicht aufhört, dann geht gar nichts!“ Und damit war sie immerhin herzhafter gewesen als der „linke“ Sozialstadtrat Knut Mildner-Spindler, der sich in sein Paragrafengefängnis zurückzog und bei den Roma-Familien Stimmung gegen die Unterstützer zu machen suchte: „Sie sind schlecht beraten von denen!“ Auf meinen Einwand hin, dass diese aber ja wohl die Einzigen seien, die sich überhaupt kümmern würden, verstummte er, ohne jedoch gerührt zu sein.

Seine Mutmaßungen und faulen Angebote winselte Mildner-Spindler linientreu in jedes Mikrofon, das sich ihm bot. Und die Presse war sich ohnehin schon weitestgehend sicher darin, wer hier wen zu was genötigt hatte. Oliver Jarasch vom RBB – auch seine Hassparolen würden später Lügen gestraft werden – brachte es auf den hasserfüllten Punkt: „In Geiselhaft der Hausbesetzer“. Die einzige Person unterdes, die tatsächlich in eine Art Geiselhaft geriet, war eine „Journalistin“ aus dem Hause Springer. Abgerichtet für Hassreportagen, nahm sie sich selbst zur Geisel – als Geisel der reißerischen Journaille. Und mit einigem Vergnügen zischte sie auch noch während ihres frei gewählten Kirchenasyls: „Ihr glaubt gar nicht, wie gern wir das machen!“ Zuvor waren alle Versuche, sie von den – teilweise schlafenden – Roma, denen sie mit ihrer Handykamera nachstellte, fernzuhalten und sie aus der Kirche zu geleiten, fehlgeschlagen. Über den gesamten Tag hinweg musste sie begleitet werden, da sie sich standhaft weigerte, ihre Reportage in der Kirche abzubrechen.

Springer-Journaille... St. Marien Liebfrauen, Wrangelstraße

Etwa 70 Unterstützer – unter ihnen auffallend viele queere Personen, hatten sich im Kirchhof eingefunden und warteten dort auf ein göttliches oder wie auch immer geartetes Zeichen. Viele Stunden lang stand man umher und diskutierte, verhandelte und organisierte Verpflegung. Auch der Senat schickte „Unterstützung“: Gegenüber der Kirche eine Hand voll Zivilpolizisten  – in einem silbernen VW-Bus mit getönten Fensterscheiben – die Situation stellvertretend für den Senat aussitzend. Der Staatsschutz ermittelt. Na danke. „Wie im Bürgerkrieg“, so einer meiner Gefährten.

Bei anbrechender Dunkelheit jedenfalls sprangen dann die Unterstützer selbst wieder einmal in die klaffende Lücke zwischen staatlicher und kirchlicher Ignoranz und gewährten den Roma-Familien Unterschlupf. In der beinahe gleichgeschalteten Presse wurde indes steif und fest behauptet, die Unterstützer aus der autonomen linken Szene hätten sich der Roma entledigt und Anderen das Problem – aus Jux und Dollerei natürlich – zugeschoben.

Die Realität interessierte bis zum heutigen Tage nicht. Und die Unterstützer selbst – sie schwiegen und halfen weiter im Stillen: Spontan und selbstlos – aber das dürfen die Bürger der Stadt Berlin nicht erfahren, damit sich ihr Bild von den Autonomen nicht zum Guten wendet. Aber auch Bürgerin Sweet Mausi, so nannte sie sich, half im Stillen: Sie brachte – wie auch andere mitfühlende Menschen – eine Tüte voll Babynahrung und Hygieneartikel in die offene Etage des NewYorck im Bethanien. So sprang am Ende eines anstrengenden, frustrierenden Tages noch einmal ein menschlicher Funke über im von sozialer Kälte und Vorurteilen zerrütteten Berlin. Und wenn die Unterstützer nicht am Kummer über die Verhältnisse in unserer Stadt zerbrochen sind, dann kümmern sie sich auch heute noch – tiefgreifend desillusioniert, aber immer noch von vollem Herzen.

The Ostprinzessin

(www.ostprinzessin.de)

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3 Antworten zu “Desillusioniert, aber von vollem Herzen”

  1. „Die Entscheidung der Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner, den zwischenzeitlich in einer Flüchtlingsunterkunft in der Motardstrstraße untergebrachten Roma eine Rückkehrhilfe zu gewähren, hat unsere volle Unterstützung. Es steht Berlin gut zu Gesicht, Menschen in Not unbürokratisch Hilfe zu gewähren.“

    ….meint zumindest Klaus Lederer, Chefunterstützer der Berliner DIE LINKE.

  2. Das ist ja erschreckend zynisch. Ist Klaus Lederer bloß dumm oder mittlerweile das größte Arschloch unter dem rot-roten Himmel?

  3. „Umgekehrt läuft die kritische Begleitung einer solchen alternativen Landes- und Kommunalpolitik Gefahr, die Restriktionen des Handlungsrahmens zu unter- und folglich die gegebenen Möglichkeiten zu überschätzen.“

    ….meint an anderer Stelle zu anderen Themen KLaus Lederer, Chefbegleiter der Berliner DIE LINKE.

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