Der Senat ist nackt


Der Böse Wolf erklärt Berlin

Der Berliner Landesverfassungsgerichtshof hebt das vom Senat ausgesprochene Verbot für das Volksbegehren „Schluss mit Geheimverträgen – Wir Berliner wollen unser Wasser zurück!“ auf

Der rot-rote Senat brüstete sich in den letzten Jahren immer wieder mit seiner angeblichen Bürgerfreundlichkeit, die er mit der Herabsetzung der Hürden für die Gesetzgebung per direkter Demokratie geschaffen habe. Doch die Änderung der Formalien führte noch längst nicht zu einem tatsächlich bürgerfreundlichen Verhalten, wie die Initiatoren einiger Volksbegehren in den letzten Jahren erfahren mussten. So zum Beispiel auch die Bürgerinitiative Berliner Wassertisch. Diese hatte im Februar 2008 über 36.000 Unterschriften zur Einleitung eines Volksbegehrens gesammelt und dazu einen Gesetzentwurf vorgelegt, der eine Offenlegung der Verträge zwischen dem Land Berlin und den privaten Anteilseignern der seit 1999 teilprivatisierten Berliner Wasserbetriebe vorsieht. Die Initiative sieht in den geheimen Verträgen u. a. einen Grund dafür, dass die Berliner mit die höchsten Wasserpreise in Deutschland zu zahlen haben, was jedoch lediglich der Rendite der privaten Anteilseigner nutze.

Da der Senat sowie die ihn tragenden Parteien SPD und LINKE mit Volksgesetzgebung meistens nur dann zu tun haben wollen, wenn diese nicht in ihre Politik eingreift, erklärte der Senat das Volksbegehren einfach für unzulässig. Er begründete dies damit, dass die Möglichkeit bestehe, dass der von der Initiative vorgelegte Gesetzentwurf gegen diverse Rechtsvorschriften verstoßen könnte.

Das Landesverfassungsgericht stellte am 6. Oktober klar, dass Volksgesetzgebung und Parlamentsgesetzgebung prinzipiell gleich zu behandeln sind. Dem Senat ist es also nicht erlaubt, im stillen Kämmerlein eine Präventivkontrolle vorzunehmen und dann ein Volksbegehren ggf. abzulehnen. Für das Handeln des Senats beim Wasser-Volksbegehren bestand laut Verfassungsgericht keine rechtliche Grundlage. Mit der jetzigen Entscheidung wird der Senat gezwungen, auch mit ihm nicht genehmen außerparlamentarischen Gesetzentwürfen in einem geordneten Verfahren umzugehen, und zwar genau so, wie er es mit Gesetzentwürfen aus dem Abgeordnetenhauses auch tun muss. Die demokratisch fragwürdige Selbstherrlichkeit des Senats und seiner externen Rechtsberater hat damit einen längst notwendigen Dämpfer erhalten.

Richtig peinlich ist das Urteil zudem für die Führungsriege der Berliner LINKE. Diese hatte – wie bei anderen Volksbegehren auch – versucht, die Initiatoren als ahnungslose Dilettanten darzustellen. So begrüßte der Landesvorsitzende Klaus Lederer einst die verfassungswidrige Entscheidung des Senats, das Volksbegehren abzuwürgen, mit den Worten: „Wer ein politisch sinnvolles und unterstützenswertes Anliegen vertritt, sollte nicht die Augen vor der Rechtslage verschließen.“ Nun wurde Lederer eines Besseren belehrt und markiert die beleidigte Leberwurst. Das Urteil des Verfassungsgerichts kommentiert er lapidar, dass direkte Demokratie eben nicht ohne Konflikte zu haben sei. Diese Einschätzung Lederers offenbart den Kardinalfehler in der Strategie der Berliner LINKE. Anstatt fortschrittliche Bürgerinitiativen als Partner zu sehen, bleiben diese für die LINKE-Führung immer nur bedrohliche Störenfriede, die gesellschaftliche Konflikte an die bieder gedeckte rot-rote Kaffeetafel tragen. Dass die Basis dieser Partei, die in Teilen stets offene Ohren für die Anliegen von Bürgerinitiativen hat, sich dieses Schauspiel ihrer Parteiführung seit Jahren bieten lässt, ist ein anderes Thema. Auch wenn der vormalige Hinterbänkler Udo Wolf als neu gewählter Fraktionsvorsitzender der LINKE im Abgeordnetenhaus sich jüngst anschickte, ein paar linke Allgemeinplätze als tolles „Strategiepapier“ zu verkaufen – eine Nagelprobe für die Berliner LINKE könnte der Umgang mit den nächsten beiden Stufen des Wasser-Volksbegehrens sein. Denn diese fallen in den Berliner Vorwahlkampf und dann wird sich schon erweisen, ob die Berliner LINKE auf ihrer langweiligen Politik-Verwaltung beharrt oder wirklich mal den Mut bekommt, politisch und vor allem links zu wirken.

Für den Berliner Wassertisch bedeutet das Urteil, dass er in den nächsten Monaten mit der Sammlung der für die zweite Stufe der Volksgesetzgebung notwendigen 170 000 Unterschriften loslegen kann. Ob dies gelingt, wird vor allem davon abhängig sein, ob die Initiative starke Verbündete gewinnen kann und ob sich das teilweise schrill hervortretende Personal des Wassertischs als zu Allianzen tauglich erweist. In der Vergangenheit wurden rund um das Wasser-Volksbegehren und die gleichzeitig gestarteten (und mittlerweile eingestellten) Volksbegehren zur Berliner Sparkasse und gegen Studiengebühren „szeneintern“ einige Konflikte über das teilweise unüberlegte Vorpreschen einzelner Aktivisten ausgetragen. Wenn das Wasser-Volksbegehren erfolgreich in die zweite und dritte Stufe geführt werden soll, ist vor allem hier ein Feld gegeben, das nur kollektiv bestellt werden kann.

Doch selbst wenn es dem Wassertisch gelingt, seinen Gesetzentwurf letztlich per Volksentscheid durchzusetzen, ist noch nicht gesagt, dass dieser auch als Gesetz Bestand haben wird. Denn allgemein verweist das Verfassungsgericht auch darauf, dass ein durch Volksentscheid zu Stande gekommenes Gesetz immer noch vom Verfassungsgericht für nichtig erklärt oder vom Abgeordnetenhaus geändert werden könne. Doch schon allein die Bloßstellung des Senats vor dem Landesverfassungsgericht ist ein Erfolg für den Berliner Wassertisch, den dieser für die Berliner Demokratie erkämpft hat – und diesen Erfolg kann ihm keiner mehr nehmen.

Benedict Ugarte Chacón

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Eine Antwort zu “Der Senat ist nackt”

  1. »Geheimverträge unterlaufen geltendes Recht«

    Grünes Licht für Volksbegehren: »Berliner Wassertisch« sieht durch Gerichtsurteil die Demokratie gestärkt. Ein Gespräch mit Thomas Rudek

    Claudia Wangerin

    Thomas Rudek ist Sprecher des Berliner Wassertisches für das Volksbegehren »Schluß mit Geheimverträgen – Wir ­Berliner wollen unser Wasser zurück«

    Der Berliner Verfassungsgerichtshof hat entgegen der Ablehnung des Senats entschieden, daß Ihr Volksbegehren für ein »Gesetz zur Publizitätspflicht im Bereich der Berliner Wasserwirtschaft« zulässig ist. Haben Sie mit diesem Urteil gerechnet, oder ist es eine positive Überraschung?

    Wir haben mit viel Bedacht einen Gesetzestext entworfen, den wir natürlich auch durchsetzen wollen. Die erste Hürde hatten wir mit 36000 gültigen Unterschriften bereits genommen, als der Senat das Volksbegehren ablehnte. Es geht uns nicht nur um eine Kampagne, sondern um ein Gesetz, das für alle gilt! Auch für die Konzerne »RWE Aqua« und »Veolia Wasser«, genauso für die Berliner Wasserbetriebe.

    Obwohl der Verfassungsgerichtshof politisch berufen ist, waren wir zuversichtlich, daß unser Volksbegehren zugelassen wird, denn schließlich ahnt auch der Verfassungsgerichtshof, daß die Geheimverträge geltendes Recht unterlaufen. Ich erinnere an sein Urteil zum Teilprivatisierungsgesetz vor zehn Jahren, in dem Passagen der im damaligen Gesetz festgeschriebenen Gewinnkalkulation als unzulässig erklärt wurden. Dieses höchstrichterliche Urteil wird durch privatrechtliche Geheimverträge unterlaufen. Und das sehen auch die Verfassungsrichter nicht gerne.

    Nach dem Urteil muß der Senat innerhalb von 15 Tagen Stellung nehmen. Das Abgeordnetenhaus hat vier Monate Zeit zu entscheiden, ob es das Anliegen befürwortet und selbst als Gesetz beschließt oder es ablehnt. Womit ist von diesen beiden Seiten zu rechnen?

    Der Senat wird kein Interesse haben, daß seine Machenschaften ans Tageslicht geraten. Beim Abgeordnetenhaus schätzen wir die Lage anders ein. Bei der Teilprivatisierung ist das Landesparlament vom damaligen Senat regelrecht über den Tisch gezogen worden. Jetzt hat es die Möglichkeit, den Gesetzestext unseres Volksbegehrens zu übernehmen und den damaligen Fehler zu korrigieren. Schließlich ist die Rekommunalisierung der Wasserbetriebe als politisches Ziel im Koali­tionsvertrag festgeschrieben. Und da das Abgeordnetenhaus nicht einmal die Hälfte der Wahlberechtigten in Berlin repräsentiert, wären »unsere Volksvertreter« gut beraten, sich auch unseres Volksbegehrens anzunehmen!

    Für die zweite Stufe des Volksbegehrens müssen binnen vier Monaten 170000 Unterschriften zusammenkommen, um einen Volksentscheid zu erzwingen. Wie gut sind Ihrer Meinung nach die Chancen?

    Wenn wir von der Abendschau genauso viel Sendezeit erhalten, wie dem Volksbegehren zum Erhalt des Flughafens Tempelhof zugestanden worden ist, machen wir uns keine Sorgen. Wenn allerdings mit zweierlei Maß gemessen wird und die persönliche Gewichtung der Redakteure eine Rolle spielt und nicht die Pflicht zu einer ausgewogenen Berichterstattung, oder wenn andere »Befindlichkeitsstörungen« bzw. Beziehungen ins Spiel gebracht werden, dann wäre das ein Beweis für politische Zensur. Genauer dafür, daß der Filz in der Hauptstadt auch die öffentliche Meinung fest im Griff hat.

    Eine weitere Hürde ist die Beteiligung. Damit der Volksentscheid erfolgreich ist, müssen nicht nur die meisten der Teilnehmer mit Ja stimmen, sondern mehr als 25 Prozent der Stimmberechtigten. Wie realistisch ist das, und welche Rolle spielen die Medien dabei?

    (Lacht) Wir waren ja nicht untätig und haben auch während des vergangenen Jahres Adressen gesammelt von Menschen, die wir genau dann unterrichten, wenn die zweite Phase beginnt. Neben dieser Eigendynamik haben die Medien natürlich eine Schlüsselfunktion. Auch hier unterstützt uns der Verfassungsgerichtshof: Der hat entschieden, daß außerparlamentarische Gesetzgebungsinitiativen genauso zu behandeln sind wie parlamentarische. Wir hoffen, daß uns auch die Medien stärker in ihrer Berichterstattung berücksichtigen – auch wenn hinter unserem Volksbegehren keine Parteien und Wirtschaftsinteressen stehen, sondern nur normale Bürger, die sich ehrenamtlich für eine gute Sache engagieren: für die Offenlegung von Geheimverträgen im Bereich der Wasserversorgung. Die Nähe zu den Geheimverträgen bei der Berliner S-Bahn liegt auf der Hand. Dagegen hilft nur eine vorbehaltlose Transparenz, die wir in unserem Gesetzestext einfordern.

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