Ankerplatz Zukunft: Medien, Märkte, Menschen
Berlin ist „sexy“, Medien sind auch „sexy“. Die Medien- und Kreativbranche gilt als Wachstumsmarkt. Verschiedene Städte und Regionen springen auf diesen Trend auf und wollen mit einer Standortentwicklung positive Anreize für die Wirtschaft setzen. Berlin-Brandenburg ist eine der potentesten Medien- und IT-Regionen in Deutschland. So arbeiten in Berlin 150.000 Menschen in mehr als 12.000 Unternehmen aus der Medien- und Kommunikationswirtschaft, mit einem jährlichen Umsatz von mehr als 12 Milliarden Euro. Auch in der Filmbranche ist die seit der Kirch-Pleite 2002 grassierende Krise beendet und die Unternehmen erwarten auch hier eine positive Entwicklung, wie aus einer im August 2006 erstellten Studie von „Ernst & Young“ hervorgeht. Klaus Wowereit hat Kultur und Medien unlängst zur Chefsache erklärt, den Kultursenat eingespart, das Amt direkt in seiner Verwaltung verortet und wirbt persönlich für Europas kreative Kapitale. Auch die IHK hat mit Politik und wirtschaftsfördernden Institutionen eine Strategie erarbeitet, um Berlins „Kompetenzen in Medien und Kultur zu einem wettbewerbsfähigen Wirtschaftscluster auszubauen“ und Berlin zum „Medien- und Kommunikationsstandort Nr. 1“ in Deutschland und „Marktplatz im Zentrum Europas“ zu machen.
„Public Private Partnership“ heißt die Plattform, auf der die Akteure aus der Wirtschaft im Zusammenspiel mit öffentlichen Einrichtungen agieren. Privatwirtschaftliche Interessen vernetzen sich schnell und unbürokratisch mit öffentlichen Institutionen und werden von diesen gefördert und ausgebaut. Die in Berlin vorhandenen Förderungen, Strukturen und Plattformen in Wirtschaft und Medien wurden erweitert (z. B. Berlin Partner; Medienboard; Projekt Zukunft), die Zusammenarbeit mit privatwirtschaftlichen Initiativen vertieft. Es finden sich die üblichen personellen Verquickungen, die Übergänge zwischen Politik und Wirtschaft sind fließend. Zum Beispiel war der Vorstand des Branchenzusammenschlusses „media.net“, Bernd Schiphorst, u. a. Manager bei Bertelsmann und später Medienbeauftragter des Senats. Heute ist er im Bereich von PR und „Bluewashing“ (Weißwaschen von Unternehmen) tätig: Um die Geschichte seiner WMP Eurocom ranken sich verschiedene Affären, von Manipulation bis hin zu unrechtmäßig erhaltenen, öffentlichen Beraterverträgen.
„Mediaspree e.V.“, vormals „Spreemedia GmbH“, entstand 2002 aus einer privatwirtschaftlichen Initiative um Investoren aus der Bau- und Immobilienwirtschaft, die nach der Wende die Brachen auf dem ehemaligen Grenzgebiet erworben hatten und deren Entwicklung und Aufwertung nun betrieben werden sollte. Die Initiative ist mittlerweile ein „gemeinnütziger Verein“ und verfolgt angeblich nicht eigenwirtschaftliche Zwecke, dennoch dürfen nur Personen Mitglieder werden, die Grundstückseigentum haben oder in anderer Form an dem Vorhaben beteiligt sind.
Neben den Mitgliedern finden sich Partner in der Verwaltung (Senat und Bezirk), sowie das örtliche Arbeitsamt und als soziales Netzwerk die IHK, „Berlin Partner“, „media.net“ und „Medienboard“. „Mediaspree“ wird mit 300.000 Euro jährlich aus sogenannten GA-Mitteln (Fördermittel der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“) finanziert, das sind 80% der Gesamtkosten. Die öffentliche Hand bietet zudem Investitionshilfen, mit denen Unternehmen wie Universal und MTV angesiedelt wurden. Mit Beihilfen des Senats wird das Gebiet erschlossen, 19,4 Millionen Euro gab es z. B. für das Anschutz-Areal. Über das Arbeitsamt können Förderungen für Arbeitsplätze beantragt werden. „Mediaspree“ übernimmt das Marketing, fungiert als Contactpoint, auch auf internationalen Business– und Immobilienmessen. Den „London Docklands“ oder der „HafenCity Hamburg“ ähnlich, will auch der Berliner Senat einen Platz für Hochfinanz und Medienkonzerne schaffen. Großflächige Bauprojekte sind Programm, die Medienbranche das Potenzial. Geworben wird mit Berlins Kreativen und auch mit Kultur. „Mediaspree“ wurde vom Senat als Stadtumbaugebiet beschlossen und ist nun Leitprojekt des Stadtentwicklungskonzeptes bis 2020.
Geplant sind zwischen Jannowitz- und Elsenbrücke diverse Hochhäuser, Büroblocks und exklusives Wohnen links und rechts der Spree. Für die Anwohner verbleibt lediglich ein zehn Meter breiter Uferstreifen und ein kleines Stück Park um die East Side Gallery. Bisherige Nutzer von Freiräumen, alternative Gestaltungen und soziale Komponenten fehlen im Konzept völlig. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit vollzieht sich der Stadtumbau. Eindrücke vom zukünftigen Aussehen gibt es schon an einigen Ecken: Die Trias von der DG Anlagengesellschaft, der Bau der „O2 World“ an der Mühlenstraße, das „Quartier Orange“, die „Oberbaum-City“, Universal und die „Spreespeicher“. Der Berliner Immobilienmarkt ist in Bewegung, da er als unterbewertet gilt. Einen Aufschwung erwartet man sich auch durch die Einführung der börsennotierten Immobilientrusts (REITs). Einiges ist noch in öffentlicher Hand, Anderes wurde schon verkauft. Hier findet eine Privatisierung von Stadtraum auf einer sehr bedenklichen Ebene statt.
Das Schlüsselprojekt „O2 World“ wurde von Anschutz, einem amerikanischen Unternehmen der Eventbranche, entwickelt. Finanziert wird die riesige Multifunktionshalle mit 17.000 Plätzen über die Namensrechte, die O2 erwarb. Ein Entertainment Center ist in Planung. Eine Autobrücke, von der Brommystraße über die Spree, soll kommen und die Zufahrt erleichtern. Die angrenzenden Bezirke Friedrichshain und Kreuzberg sollen „dynamisiert“ werden.
30.000 Arbeitsplätze erhofft sich Ingeborg Junge-Reyer, Senatorin für Stadtentwicklung. Auch Klaus Wowereit warb bei der Grundsteinlegung der „O2-World“ mit 1.500 Arbeitsplätzen. Ein genauer Blick offenbart die zukünftig prekäre Beschäftigung im Service, zwischen Sicherheitspersonal, Würstchenverkäufern und Kartenabreißern, sowie obligatorischen Lächelkursen fürs Personal. Auch der Callcenter-Bereich verspricht eine hohe Rendite auf dem Rücken von Billiglohn-Beschäftigten. In diesem Bereich sind gleich zwei „Mediaspree“-Unternehmen tätig: Die im Turm der „Oberbaum-City“ ansässige Service-Tochter der BASF, mit 500 Arbeitsplätzen, sowie das neue „Vorzeige“-Callcenter der KarstadtQuelle AG, wo insgesamt 1.000 Menschen arbeiten werden. Gerade dieses Callcenter, das zukünftig auch für andere Unternehmen arbeiten will, besticht durch niedrige Löhne, die Umgehung der gesetzlichen Vorschriften für Bildschirmarbeit und zeichnet sich durch eine besondere Art der Mitarbeiterüberwachung aus. Viele der Arbeitsplätze werden auch nur zur Bauphase entstehen.
Berlin zeichnet sich nicht nur durch seinen Pool an kreativen und gut ausgebildeten Leuten aus, sondern auch durch traditionell niedrige Honorare. Eine gängige Praxis ist es, die Beschäftigung auf Projektdauer zu beschränken. Sucht man in den einschlägigen Suchmaschinen, so findet man zu den Begriffen „Berlin“ und „Media“ viele Praktika für qualifizierte Personen zu prekären Konditionen. Es gibt mittlerweile kaum ein Unternehmen, kaum einen Bereich, wo nicht Praktikanten eingesetzt werden, und die Vermutung liegt nahe, dass dies reguläre Arbeit verdrängt. „media.net“ bietet sogar einen regelrechten Praktikanten- und Diplomarbeitenservice an.
Obwohl die öffentliche Hand eine Menge an Fördermitteln bereitstellt, ist sie innerhalb von „Mediaspree“ strukturell nur durch die bezirkliche Ebene im Beirat vertreten und hauptsächlich für den engen stadtplanerischen Aspekt zuständig. Ergänzend zu den Plänen für Friedrichshain, Mitte und Treptow, wird im sog. Stadtentwicklungsprogramm „Stadtumbau West“ vorgesehen, auch das Kreuzberger Spreeufer zum „hochwertigen innerstädtischen Wirtschaftsstandort“ zu entwickeln und „zukunftsfähige Arbeitsplätze in der wissens- und produktionsorientierten Dienstleistungsökonomie“ zu schaffen. Wie aber könnte ein solcher, zukunftsfähiger Arbeitsplatz aussehen? Sowohl Franz Schulz, Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, als auch Klaus Wowereit, Wirtschaftssenator Wolf und Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer bleiben eine weitsichtige Antwort hierauf schuldig.
Stadtentwicklung ist aber mehr als Wirtschaftsförderung oder Bebauung. Es geht um Bewohner und die soziale und kulturelle Entwicklung. Man beginnt sich zu fragen: Welche Visionen hat diese Stadt? Für welche ist Platz? Wer soll, wer muss draußen bleiben?
Gegen Verbauung und Verdrängung durch steigende Mieten bildete sich 2006 die Bürgerinitiative „MediaSpree versenken“. Die außerparlamentarische Initiative will Alltagsfragen politisieren, „Armut“ – entgegen dem Verwertungsinteresse der Konzerne – zum Thema machen. Erste Aktionen gab es zum CSD im letzten Jahr, weitere Aktionen, Kiezspaziergänge und ein Bürgerbegehren sind in Planung. „Mediaspree“ jedenfalls gibt das Spektrum der profitorientierten Gesellschaft wieder: Zwischen der Verflechtung von Kapitalinteressen, prekärer Beschäftigung, globalen Akteuren, Medienhype und Kreativwirtschaft. Und Klaus Wowereit wird den Bürgern im Verlauf der Amtsperiode sicherlich noch erklären, warum ihre Armut „sexy“ ist.
Malah Helman ist seit Oktober 2006 im Vorstand des Berliner Filmverbands in ver.di.
Der Filmverband in ver.di kümmert sich um die Belange der Filmschaffenden: Tarifpolitk, Honorarentwicklung, Arbeitsbedingungen, Sozialversicherungsproblematik, Urheberrecht und Förderthematik.
Kontakt: Katja Karger, [email protected]
Die Beratungshotlines: www.mediafon.net, www.filmfon.net und das Forum für Medienschaffende: www.connexx-av.de.
5 Antworten zu “Mediaspree und der neoliberale Stadtumbau”
[…] Das ist jedenfalls kein Kreuzberg Slam wie es sich selbstherrlich nennt, das ist Mediaspree-Slam, das ist der Schlamm der dazu führt dass Kreuzberg bald wie P-Berg aussehen wird, das Land der Werber und Banker, dort hätte der Poetry Slam bleiben sollen. Aber nein, der Dichter und Denker von heute ebnet den Weg der Gentrifizierung. Soll ich in diesem Schlamm waten? […]
[…] So unübersichtlich wie die Strukturen dieses Firmenimperiums sind für den Außenstehenden auch die Aktivitäten Müllers und seiner Firmen. Fest steht nur, daß Müller und sein “umfangreiches Netzwerk” (wie es auf seinen Internet-Sites heißt) an einer schier unübersehbaren Zahl stadtbildprägender Bauten und Projekte in Berlin beteiligt ist bzw. war, sei es als Architekt, Bauherr, Käufer, Sanierer, Umwandler, Verkäufer, Geldgeber oder Dienstleister. Neben zahllosen Wohn- und Geschäftshäusern gehören dazu Großprojekte und Objekte Unter den Linden, am Leipziger Platz und Hackeschen Markt, das Frankfurter Tor, der Hafen Tempelhof (dort soll – wie originell – ein Shopping Center und ein Parkhaus mit 700 Plätzen entstehen) und die Spreespeicher an der Oberbaumbrücke mit dem ehemaligen Eierkühlhaus (jetzt Universal), das durch die vorgehängte Glasfassade (trotz Denkmalschutz) sehr stark verändert wurde. Auf der anderen Seite des Flusses plant Müller im Rahmen des mediaspree-Projekts inzwischen die Neuen Spreespeicher mit Wassertaxi-Verbindung zu Universal. […]
Aus den 1000 versprochenen Arbeitsplätzen bei der KarstadtQuelle AG werden nur 500. Die Beschäftigten werden allerdings erheblich weniger Lohn erhalten und zu schlechteren Bedingungen arbeiten als im vormaligen Berliner Quelle Callcenter. Auch Wirtschaftschaftsförderungen sind im Gespräch, um neben billigen Löhnen dem in den Vorjahren durch Umsatzrückgänge und Mißwirtschaft angeschlagenen Riesen KarstadtQuelle AG wieder auf die Beine zu helfen.
Seit Juli 2007 heißt der Konzern Arcandor. Arcandor gehören heute: Karstadt mit KaDeWe, Wertheim, Alsterhaus, Karstadt Sport, Restaurants LeBuffet; Primondo Versandhandel für Quelle, Walz, Hess Natur, Happy Size, Bogner Homeshopping, Vertbaudet, Teleshopping, HSE 24 und der Online Shopping Versand neckermann.de; in der Touristik: Thomas Cook, Neckermann Reisen, Bucher Reisen. Er ist mit 52% an Lufthansa beteiligt.
Arcandor schreibt sich Nachhaltigkeit und Soziales Engagement auf die Homepage. Weil in Asien bekanntermaßen besonders gute Arbeitsbedingungen herrschen, gab Arcandor Produktion, Einkauf, Qualitätskontrollen und Import komplett nach China, an das Handelshaus Li & Fung in Hongkong. Eine Einkaufspreisreduktion um 10 % und ein Importvolumen von über 2 Milliarden Euro pro Jahr werden angestrebt. Der Konzern schreibt nach einem Verlust von 316 Mio. EUR im Jahr 2005, nun im Jahr 2006 einen Gewinn von 346 Mio. EUR. Saniert wurde er von Thomas Middelhoff, der auch bei Bertelsmann und AOL engagiert war und seit 2003 auch die Europageschäfte der arabischen Private Equity Firma Investcorp tätigt und außerdem bei der New York Times und bei Senator Entertainment im Aufsichtsrat sitzt.
Arbeit und Arbeitsplätze um jeden Preis?
[…] Einzelnachweise↑ mediaspree.de/Zielrichtung↑ mediaspree.de/Mitglieder↑ Artikel Mediaspree und der neoliberale Stadtumbau bei abriss-berlin.de, 26. Januar 2007↑ Informationen zu „Mediaspree“ im Media Guide […]
Ich denke das ist eh nur ne Modeerscheinung.