Heuchelei als Allheilmittel


Der Böse Wolf erklärt Berlin

Die Berliner LINKE und die „Innere Sicherheit“

„Der Überwachungswahn greift um sich. Staat und Unternehmen registrieren, überwachen und kontrollieren uns immer vollständiger.“ So heißt es in dem Aufruf zur Demonstration „Freiheit statt Angst“, die am 22. September 2007 in Berlin stattfinden soll. Und weiter heißt es: „Wo Angst und Aktionismus regieren, bleiben gezielte und nachhaltige Maßnahmen zur Stärkung der Sicherheit ebenso auf der Strecke wie ein Angehen der wirklichen, alltäglichen Probleme der Menschen (z. B. Arbeitslosigkeit und Armut).“ Neben verschiedenen Bürgerrechtsgruppen, Journalistenvereinigungen und politischen Gruppierungen gehört auch die LINKE Berlin zu den offiziellen Unterstützern des Aufrufs, der u. a. mit der Forderung nach einem „Stopp der Videoüberwachung des öffentlichen Raums“ endet.

Nun mag man vielleicht meinen, unsere Berliner LINKE würde solchen hehren Forderungen auch ebenso pragmatische Taten folgen lassen. Doch weit gefehlt: Was die Videoüberwachung des öffentlichen Raums angeht, erweitert unsere LINKE gerade zusammen mit der SPD die Befugnisse der Polizei. Wie verschiedene Medien zu berichten wissen, plant die rot-rote Regierung diverse Änderungen des „Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin“ (ASOG) – insbesondere, was Videoaufzeichnungen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) oder der Organisatoren von so genannten Großveranstaltungen betrifft. Bisher ist es der Berliner Polizei erlaubt, diverse Aufzeichnungen zur Verfolgung von Straftaten auszuwerten. Dies passiert in Zusammenarbeit mit der BVG einerseits dadurch, dass – entgegen der Empfehlung von Datenschützern – bei begangenen Straftaten Videoaufzeichnungen an die Polizei übergeben werden. Andererseits kann sich die Polizei in besonderen Fällen aber auch direkt in das Videosystem der BVG einschalten und live nachschauen, ob nicht irgendwo Straftaten begangen werden.

Diese polizeilichen Möglichkeiten sind Rot-Rot aber nicht genug. Mit der Änderung des ASOG, die im September erfolgen soll, ist dann eine vorsorgliche Überwachung von Personen, von denen die Polizei oder wer auch immer Straftaten erwartet, möglich. Dies kann z. B. für Jugendliche mit weiten Hosen (Graffiti! Flußsäure!), Ausländer in der U-Bahn (Drogen!) oder vielleicht auch Menschen mit Bibliotheksausweis (mögliche Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach § 129a StGB!) gelten.

Wie die Berliner Polizei diese neuen Möglichkeiten nutzen wird, bleibt abzuwarten. Eine Grundlage für die fruchtbare Kooperation mit privaten Sicherheitsdiensten ist mit der verfassungsmäßig und datenschutztechnisch äußerst fragwürdigen „Sicherheitspartnerschaft“ zwischen diversen Sicherheitsunternehmen und der Berliner Polizei bereits gegeben. Diese „Partnerschaft“ besteht vertraglich seit einigen Jahren und sieht unter anderem vor, dass private Sicherheitsdienste die Polizei bei Fahndungen unterstützen, sowie dass beide über eine „gemeinsame Informations- und Ansprechstelle“ Daten und Informationen austauschen.

Nun hat der Landesvorstand der Berliner LINKEN irgendwie mitbekommen, dass sich die Ausweitung von polizeilichen Befugnissen nicht unbedingt mit vorgeblich vertretenen bürgerrechtlichen Positionen vereinbaren lässt und zur Beschwichtigung die innenpolitische Sprecherin und frühere Bürgerrechtlerin Marion Seelig vorgeschickt. Diese scheint ihr Handwerk bei Klaus Lederer gelernt zu haben, denn ihre Argumentation gleicht im Grundsatz der immer wieder vorgetragenen Litanei ihres starken Vorsitzenden: Die LINKE hat lange verhandelt, die LINKE hat sich dann aber doch gegen die SPD nicht durchsetzen können, ohne die LINKE wäre es sicher viel schlimmer gekommen und eigentlich ist das, was die LINKE veranstaltet, im Großen und Ganzen nicht total daneben. Die der jahrelangen Terror- und Kriminalitätshysterie geschuldete Änderung des ASOG entschuldigt Frau Seelig folgendermaßen: „Diese Gesetzesänderungen kamen nicht aus heiterem Himmel. Vielmehr ist den im Gesetzentwurf zu findenden Befugnistatbeständen eine tatsächliche Praxis von Sicherheitsbehörden vorausgegangen.“ Diese Entschuldigung kann man auch in dem Sinne interpretieren, dass die Berliner Sicherheitsbehörden anscheinend die letzten Jahre rechtlich fragwürdig gehandelt haben und Rot-Rot diese Fragwürdigkeit nun dadurch beseitigt, dass die Gesetzeslage einfach so geändert wird, dass das bisher Fragwürdige eben nicht mehr fragwürdig ist.

Vielleicht meinte Klaus Lederer solch ein Vorgehen, als er beim letzten Parteitag sagte: „Wir müssen uns öffnen und zeigen, dass unsere Vorschläge das Zeug haben, die Realität zu verändern.“

Eine weitere Entschuldigung von Frau Seelig liest sich so: „Das Problem, vor dem wir als Linke mit bürgerrechtlichem Anspruch stehen, ist nicht allein die Tatsache, dass die SPD der stärkere Koalitionspartner ist […]. Sie besteht in viel größerem Maße darin, dass wir gesellschaftlich in dieser Frage nicht in der Offensive sind.“ Diese Einschätzung von Frau Seelig ist sicherlich richtig. Allerdings müssen sich Frau Seelig und ihr Landesvorstand fragen lassen, wo man denn noch offensiver agieren könnte als an der Regierung? Einen „bürgerrechtlichen Anspruch“ zu proklamieren, kostet ja nichts – aber sich ausnahmsweise mal nicht vor der SPD krummzulegen, dafür bedürfte es eben eines Rückgrats.

Benedict Ugarte Chacón


Eine Antwort zu “Heuchelei als Allheilmittel”

  1. nun ist es also wahr geworden. irgendwie kommt mir blackwater in den sinn. fängt ja beides mit B an: Berlin Blackwater. zukunftsmodell oder auslaufsmodell- das ist die frage oder aber wie läßt sich der öffentliche raum überwachen und der rechtstsaat umgehen. wilde schießereien auf berlins plätzen? man darf gespannt sein, was alles möglich sein wird.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert