Treffer. Versenkt.


Der Böse Wolf erklärt Berlin

Die Reaktionen auf den Bürgerentscheid „Spreeufer für alle“ entlarven einen scheindemokratischen Konsens

Der von der Initiative „Mediaspree versenken“ angestrengte Bürgerentscheid ist ein Erfolg auf der ganzen Linie. Nicht nur, dass es sich laut Angaben von „Mehr Demokratie e. V.“ um das zahlenmäßig erfolgreichste Bürgerbegehren handelt, das je in Berlin stattfand. Der Erfolg liegt vor allen Dingen darin, dass es den Initiatoren gelungen ist, eine über Monate präsente Kampagne gegen die größenwahnsinnigen Spreeufer-Pläne von Investoren, Investoren-Lobbyisten und Bezirkspolitikern zu fahren und damit die im Bezirk etablierten Parteien enorm zu verunsichern. Mit dem Ergebnis des Bürgerentscheids hat sich der Spruch bewahrheitet, der im Südkiez von Friedrichshain an den Hauswänden prangt: „Ihr habt Eure Baupläne ohne uns gemacht!“

Die Verunsicherung der im Bezirk tonangebenden Parteien trat in den letzten Wochen deutlich zu Tage. Hatten sie sich vorher nur über die Initiatoren des Bürgerentscheids gehässig mokiert, merkten sie dann doch recht bald, dass ihnen ihre arrogante Haltung auf die Füße zu fallen drohte – was nun eingetreten ist. Denn an der Basis der so genannten Grünen und der DIE LINKE ist man alles andere als glücklich über die angestrebte Spreeraumbetonierung.

Die DIE LINKE im Bezirk handelte im Vorfeld des Bürgerentscheids so, wie man es auch auf Landesebene von ihr kennt: Wegducken, abwarten und sich über das Ergebnis wundern. Die Grünen im Bezirk duckten sich nicht weg, sondern trafen sich zur „Strategiesitzung“ und beschlossen – eine wahrhaft strategische Meisterleistung – einen Wahlkampf gegen den Bürgerentscheid und damit gegen die eigene Basis. Die grüne Abgeordnete Heidi Kosche, die in ihrer Freizeit in der privatisierungskritischen Initiative Berliner Wassertisch aktiv ist, sagte der taz: „Wenn unsere Wähler den Eindruck haben, dass wir abtauchen, weil wir uns nicht trauen, unsere Positionen zu vertreten, ist das das Schlimmste“. Da möchte man hinterher rufen, dass „die Wähler“ es ebenso registrieren, wenn man sich einerseits privatisierungskritisch gibt und andererseits ins Horn der privaten Spreeraum-Investoren pustet. Immerhin hat Heidi Kosche ein Direktmandat in ihrem Kreuzberger Wahlkreis gewonnen. Mal sehen, ob das bei der nächsten Wahl noch einmal klappt.

Natürlich beeilt man sich bei Bezirksamt und Senat zu betonen, dass der Bürgerentscheid ja gar keine rechtlich bindende Wirkung habe und nur einen „empfehlenden Charakter“ besäße. Und Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer, ansonsten bekannt für ihre intelligenten Konzepte zu anderen Großprojekten wie dem Flughafen Tempelhof, sichert „den Investoren“ im Stil einer kleinstädtischen Grundstücksmaklerin sogleich die „Verlässlichkeit des Landes“ zu. Auch bei Junge-Reyers aktueller Mediaspree-Salbaderei muss man nicht auf den von ihr gewohnten Worthülsen-Quatsch verzichten: Das Spreeraumkonzept „rückt das Wasser in die Mitte und verbindet die bisher getrennten Uferbereiche zu einem gemeinsamen Stadtraum.“

Die Argumentation, der Bürgerentscheid habe keine rechtliche Wirkung, mag formaljuristisch richtig sein – aus demokratischer Sicht ist sie unter aller Kanone und die vorauseilenden Kniefälle vor irgendwelchen Investoren gehören in die gleiche Kategorie. Denn hier zeigt sich, dass die so argumentierenden Polit-Schranzen es mit demokratischen Prinzipien nicht allzu ernst meinen: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ (Grundgesetz Artikel 20 Absatz 2). Wenn 87 Prozent der abstimmenden Bevölkerung keine Büroklötze vor der Haustür wollen – und dies per Bürgerentscheid „empfehlen“ – dann hat man das als ordentlicher Demokrat zu akzeptieren und gefälligst danach zu handeln. Ob das nun irgendwelchen Schwätzern wie Jan Eder von der IHK in den Kram passt oder nicht. Sie sind nicht demokratisch legitimiert und ihre Meinung zählt so viel oder so wenig wie die jedes anderen Bürgers auch. Und wenn er auch zu sonst nichts taugt, so hat Martin Lindner (FDP) den scheindemokratischen Konsens mit seinem per Berliner Morgenpost verbreiteten Gejaule auf den Punkt gebracht: Wenn Bürgerentscheide in konkrete Politik eingreifen könnten, dann sind sie „verantwortungslos“.

Wer solche Demokraten hat, der braucht keine Feinde mehr.

Benedict Ugarte Chacón


7 Antworten zu “Treffer. Versenkt.”

  1. Lieber Böser Wolf,
    danke für deine klaren Worte in Sachen Demokratieverständnis, die du den Herren und Damen Politiker_innen um die Ohren schlägst. Schade nur, dass sie ihre Ohren womöglich nicht täglich hier bei abriss-berlin reinstecken… (würden sie wohl auch ganz taub von werden)
    Bei der Zählung/Wertung des Spreeufer-für-alle-Entscheids als des erfolgreichsten Bürgerbegehrens allerdings kann mensch ja so oder so zählen: Sind möglichst hohe Zustimmungsraten unter den sich an der Abstimmung Beteiligenden das Maß der Dinge oder die absolute Zahl derjenigen, die überhaupt sich von zu Hause hin zur düsteren Wahlkabine aufraffen? Seltsam eigentlich, dass ausgerechnet die Vertreter_innen von Mehr Demokratie e.V. unzweifelhaft zu ersterer Interpretation neigen. Sollten doch die Erregung breiter öffentlicher Diskussion und Meinungsäußerung ihr Anliegen sein und nicht möglichst eindeutige – wie Cheffe Joost sagte: sozialistische – Ergebnisse.
    Im übrigen vermisse ich ja hier und da (eigentlich überall bisher in den letzten Tagen) die demokratiekritische Betrachtung ebenjenen Bürgerbegehrens, das nur jene mitstimmen lässt, die ordentlich im betreffenden Bezirk angemeldet sind, das ordentliche Alter und die ordentliche Staatsangehörigkeit haben. Und ebenso die eingeschränkten Möglichkeiten, ein Thema zum Abstimmungsfall zu machen, nämlich diese, die zu der einseitigen Fokussierung auf rein städtebauliche Aspekte geführt haben, wo es doch eigentlich darum gehen sollte, das Standortvermarktungskonzept Media-Spree zu Fall zu bringen und den von Immoblienwirtschafts- und Investor_innen-Interessen vorangetriebenen Umstrukturierungswellen eine lautstarke Vertretung untergebutterter Kiezinteressen* entgegen zu setzen.

    * Naja, eigentlich meine ich ja die sicherlich wiederum auch recht wiedersprüchlichen Interessen der Kiezbewohner_innen, die die Verlierer_innen und Verdrängten einer „Aufwertungsplanung“ und Gentrifizierung wären und sind. Und da dürfte ein halbwegs gemeinsamer Nenner sein, die drohende Entwicklung zu verlangsamen, aufzuhalten, zur Debatte zu stellen. Klar hat „der Kiez“ an sich kein Interesse. Wie auch? Sowas können ja nur Menschen haben und nicht Gebiete.

  2. Lieber DJ Tüddel,

    Sie haben recht, das Wahlrecht könnte eine gehörige Liberalisierung vertragen. „Mehr Demokratie e. V.“ ist wohl gerade dabei, das Wahlrecht in Berlin zu ändern und wird dabei – weil es nichts kostet – von der DIE LINKE unterstützt. Mal sehen, was daraus wird.

    Das zweite Problem, das Sie ansprechen, ist genauso brisant. Allerdings schon seit mindestens zehn Jahren. Denn wo waren denn die Kiezinteressen-Formulierer als der ganze Mist noch „Investitionsraum Spreeemedia“ hieß und sich nur in der Planungs- und nicht in der Ausführungsphase befand?

    Wir sollten uns da nichts vormachen: Gegen die Baumafia kommt niemand an….

  3. Wenn ich diesen und andere Berichte lese frage ich mich, wozu es den Begriff Volksvertreter eigentlich noch gibt? Kann man doch alle in der Pfeife rauchen!
    Wird langsam wieder Zeit die APO zu gründen. Auf jeden Fall mach ich den Wahlzettel nur noch ungültig!

  4. Wir sind nicht die olle APO, wir sind freundliche Looser.

    Und im Gegensatz zur ollen APO haben wir Looser Spaß am Leben und zum Glück keine Ahnung von Mao, Adorno und Freddy Quinn.

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