Was die O2 World für Spreebärchen bedeutet


Widerstand: Nicht ohne mein Abendkleid

Anlässlich der Eröffnung der O2-Halle des reaktionären und homophoben Investors Philip F. Anschutz laden wir Sie und ihre Freundinnen und Freunde herzlich zur Eröffnungs-Demo ein. Die Demonstration beginnt um 17.30 Uhr am Kottbusser Tor in Kreuzberg und endet in der Nähe der O2-Halle. Der verbleibende Abend steht Ihnen zur kreativen Freizeitgestaltung offen. Um angemessene Abendgarderobe wird gebeten.

Am 10. September ist es soweit: Die Anschutz-Halle am Spreeufer, auch „O2 World“ genannt, öffnet ihre Tore im Rahmen der feierlichen Eröffnung – allerdings nur für geladene Gäste. Die Anschutz-Halle ist dabei nur das Herzstück eines weit größeren Projekts. Dem Unternehmen Anschutz gehört zwischen Ostbahnhof und Warschauer Straße eine 20 Hektar große Fläche. Das ist doppelt so viel wie bei den Büro- und Shoppingpalästen am Potsdamer Platz. Auf dieser Fläche soll in naher Zukunft um die Halle herum ein sogenanntes Entertainment-Viertel hochgezogen werden: Kinos, Restaurants, Einkaufszentren, Hotels. Was hier vermarktet wird, sind Events. Die von der Arbeit ausgepowerten Menschen dürfen sich ab und an einmal in den Tempeln der Neuzeit von raffinierten Bühnenshows erschlagen lassen. Und da ist es egal, ob die Toten Hosen ihre Fans sich wild fühlen lassen oder der Dalai Lama den Menschen das Glück auf Erden verspricht. Ablenkung und den Luxus, nicht mehr an den Alltag denken zu müssen, verspricht Beides – vorausgesetzt, es ist genug Geld fürs Ticket übrig.

Doch was so ein großer Klotz von Halle ist, der hat auch seine Schattenseiten. Und was für welche! Von Billigjobs über die Verschleuderung städtischer Gelder bis zur Unterstützung aggressiver rechter Gruppen, vom Vorantreiben von Aufwertung und Verdrängung in den benachbarten Kiezen bis zur Durchkommerzialisierung unserer Stadträume.

Sooo viele Arbeitsplätze…

Um Geld für den Eintritt in dieses wahre (Entertainment-) Paradies auf Erden zu bekommen, muss der Mensch arbeiten. Deswegen ist es ein beliebtes Argument für die O2-Arena, dass sie Arbeitsplätze schaffe. Denn in unserer Gesellschaft gibt es ja nichts Wichtigeres als Arbeit. Und da Arbeit ideologisch als Selbstzweck und nicht als im Kapitalismus notwendiges Übel verkauft wird, fragt auch niemand, was das für Arbeitsplätze sind, die da geschaffen werden. Und für die Menschen, die nicht vom Arbeitsethos ergriffen sind, gibt es ja den Hartz-IV-Apparat, der die Menschen zur Aufnahme miesester Jobs nötigt. So ist es kein Wunder, dass es in der O2-Arena hauptsächlich Billigjobs geben wird. Doch sollen die zahlenden Gäste nichts davon mitbekommen, wie sich die Angestellten angesichts ihrer schlechten Arbeitsverhältnisse fühlen. Sie werden zur Teilnahme an sogenannten „Lächel-Kursen“ gezwungen, damit sie stets ein sonniges Lächeln auf den Lippen tragen und durch „Servicebereitschaft“ zum Wohlbefinden der profitbringenden Kundinnen und Kunden von Anschutz & Co beitragen.

Denn das Wichtigste ist, den Schein aufrecht zu erhalten, dass alles in Ordnung ist. Die Spaßfabrik soll keinen Kratzer bekommen. Unsere Aufgabe ist es nun, für diese Kratzer zu sorgen, die heile Scheinwelt aufzubrechen, um die Hoffnung auf das ganz Andere zu wecken.

Die Halle und die Stadt

Das ganze Ding unterstützt dann auch eine Tendenz der Aufwertung und Mietsteigerung in den Kiezen, kurz „Gentrification“ genannt. Die Investoren investieren, die Häuser werden modernisiert, die Viertel aufgeschickt. Wer es sich leisten kann, zieht in die Innenstadt bzw. die angesagten Kieze, treibt dabei die Mieten hoch. Viele stoßen nach und nach ans Ende ihrer finanziellen Fahnenstange und werden an den Stadtrand verdrängt, während die Stadt in eine sterile Konsumlandschaft umgebaut wird. Die Errichtung des Prunkbunkers „O2-World“ und die von Anschutz schon geplanten weiteren Bauabschnitte des Urban Entertainment Centers sind Zeichen und Motor der Gentrification im Bereich Friedrichshain-Kreuzberg.

Anschutz, der christliche Fundamentalist

Die neue Halle heißt zwar „O2-World“, gehört aber der Anschutz Entertainment Group (AEG). O2 hat nur die Namensrechte an der Halle erworben. AEG ist eine Tochtergesellschaft des gigantischen Konzerns Anschutz Corporation, der vor Allem durch Gewinne aus dem Öl- und Gasgeschäft groß geworden ist, aber auch auf vielen anderen Feldern, etwa in der Telekommunikation und der Unterhaltungsindustrie, aktiv ist. Der AEG gehört die Eishockeymannschaft Berliner Eisbären genauso wie viele Fußball- und Basketballteams, Zeitungen und eine Filmproduktionsgesellschaft. Die AEG betreibt weltweit Megahallen und über 6.000 Kinos.

Chef des Ganzen ist Philip Anschutz. Sein Vermögen wurde im Jahr 1999 auf 16 Milliarden Euro geschätzt. Dabei ist Philip Anschutz erklärter Förderer rechtskonservativer Gruppen und Bewegungen in den USA. Das „Manager-Magazin“ attestiert ihm den „politischen Gleichschritt mit dem US-Präsidenten Bush“ und berichtet über die Anschutz-Unterstützung für die Wahlkampagne eines Abgeordneten, der dafür plädierte, „Kriminelle öffentlich auf Straßen aufzuhängen“. Ein nicht unwichtiger Teil der Profite von Anschutz fließt in die Unterstützung von Gruppen, die gegen die rechtliche Gleichstellung von Lesben und Schwulen kämpfen. So unterstützt Philip Anschutz etwa die Gruppe „Colorado for Family Values“, welche als eine der extremsten homosexuellenfeindlichen Gruppen der USA u. a. die These vertritt, Homosexualität führe direkt zu sexualisierter Gewalt gegen Kinder (Pädophilie).

Seine Weltsicht versucht Philip Anschutz nicht nur durch das Sponsoring entsprechender Gruppen durchzusetzen, sondern auch durch die ihm gehörenden Tageszeitungen und Filmproduktionen. Jede Eintrittskarte in die Anschutz-Halle bedeutet Profit für Anschutz und trägt damit direkt zur Finanzierung homosexuellenfeindlicher Propaganda bei. In London führten die Verbindungen von Anschutz ins rechtsreligiöse Milieu zu einem Boykottaufruf von schwulen- und lesbenpolitischen Bürgerrechtsgruppen gegen die dort von Anschutz betriebene Megahalle „The Dome“ bzw. „The O2“.

Private Gewinne, öffentliche Verluste

Philip Anschutz‘ Unterstützung für die Diskriminierung von Lesben und Schwulen hat Berlins regierenden Bürgermeister Wowereit nicht davon abgehalten, extra in die USA zu fliegen, um Anschutz als Investor für Berlin zu gewinnen. Und sie hält auch die Stadt Berlin und den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg nicht davon ab, die Geschäfte von Anschutz mit Millionensummen zu fördern. So sieht verzweifelte, hoffnungs- und perspektivlose Politik aus. Die Städte müssen heutzutage zuallererst attraktiv und auf Investitionen ausgerichtet sein, der Rest muss sich unterordnen. Folge der lokalpolitischen Unterstützung für Anschutz ist, dass die städtischen Hallen Velodrom und Max-Schmeling-Halle nun mit noch höheren Summen öffentlicher Gelder bezuschusst werden. Denn für die „O2-World“ wurde die Basketballmannschaft Alba Berlin abgeworben und viele Konzerte und Veranstaltungen werden von nun an ebenfalls dort laufen. Die städtischen Hallen werden dagegen unausgelastet sein und größere Verluste einspielen. Für die Jahre 2008 bis 2015 werden bereits Zuschüsse in Höhe von zusammen 123,4 Millionen Euro garantiert. Demnächst soll über weitere Summen verhandelt werden.

Was diese Mischung aus direkten Subventionen und städtischen Verlusten für Berlin bedeutet, liegt auf der Hand. In Zeiten leerer Kassen und einer auf ausgeglichene Haushalte orientierten Politik müssen an anderer Stelle Leistungen gestrichen, Kosten gespart werden. Und während Konzerne verhätschelt werden, wird dort gespart, wo das Kapital nichts zu verlieren hat: Bei der öffentlichen Infrastruktur wie etwa Bibliotheken und Schwimmbädern, wo ständig die Preise erhöht und Zweigstellen gestrichen werden, beim öffentlichen Wohnungsbau, wo in den letzten Jahren tausende Wohnungen privatisiert wurden, beim öffentlichen Nahverkehr, der jedes Jahr teurer wird, bei den Schulen, wo die Klassen immer größer werden usw.

Werbefläche statt Freiraum

In einer kapitalistischen Gesellschaft, die nur auf Profit und damit die Interessen von Wachstum und Investoren ausgerichtet ist, darf sich die Frage, ob eine Brachfläche nicht vielleicht ebenso ansehnlich und wertvoll ist wie eine klinisch reine, überwachte Luxusbetonwüste, nicht stellen. Jeder Widerstand gegen Kommerzialisierung wird als gefährlich für die Wirtschaft dargestellt. Gleichzeitig wächst das Gefühl der Ohnmacht bei den Anwohnerinnen und Anwohnern, die um ihre noch halbwegs bezahlbaren Wohnungen bangen. Es entsteht der Eindruck, dass der Prozess der Gentrification unaufhaltsam und nicht beeinflussbar ist, als quasi naturgesetzlicher Ablauf in jeder großen Stadt. Aber dieser Prozess ist ein gesellschaftlicher und wie alle gesellschaftlichen, ist auch er durch Menschen veränderbar. Aber nur wenn die betroffenen Menschen zusammenstehen und sich wehren, denn ansonsten werden die kapitalistischen Marktmechanismen mal wieder der Sieger sein.

Sieger waren sie auch, als sie die Anschutz-Halle gebaut haben. Offenbar völlig ohne Auflagen und mit vielen Ausnahmegenehmigungen (u. a. der Durchbruch der East-Side-Gallery und das Aufstellen der gigantischen Werbetafeln) wurde sie ohne öffentliche Diskussion in die Landschaft gesetzt. Das Vorhaben ist offenbar, dem gesamten Bereich zwischen Oberbaumbrücke und Ostbahnhof den Stempel „O2-World“ aufzudrücken. Fürs Geschäft von Anschutz ist es natürlich optimal, gleich ein ganzes Stadtviertel als Werbebühne benutzen zu können. Vielleicht würden die Menschen ohne die penetrante Werbung gar nicht auf die Idee kommen, ihr Geld für teure Entertainment-Events auszugeben!? Nachdem für uns Werbung in Fernsehen, Internet und Printmedien schon alltäglich geworden ist, wird nun auch der städtische Raum zunehmend aggressiv kommerzialisiert. Hier setzt die O2-World mit ihren gigantischen Werbebildschirmen neue Maßstäbe: Ihre flimmernde Größe macht sie unübersehbar, ihre Werbebotschaften werden zu einem prägenden Teil des Stadtbildes.

Berlin bleibt Risikokapital

Und nun wird die Monsterhalle auch noch als Meilenstein eines weit größeren Projekts gehandelt: Denn nicht nur für die Flächen um die Anschutz-Halle gibt es große Pläne, sondern das ganze Spreeufer zwischen Jannowitzbrücke und Treptow soll zu einem riesigen Bürokomplex namens MediaSpree umgebaut werden. Doch können die Marketingstrategen von MediaSpree gerade nur froh über den anstehenden Eröffnungszauber der „O2-World“, um von ihrer eigenen Misere abzulenken. Denn nie war MediaSpree so am Kippeln wie gerade jetzt: Die seit gut zwei Jahren stetig an Fahrt gewinnende Kampagne gegen MediaSpree ist so stark geworden, dass die Immobilienvertreter sich mittlerweile in Rückzugsgefechte verwickelt sehen. Spätestens der Bürgerentscheid hat das Investitionsklima ordentlich verhagelt. „MediaSpree“, was eigentlich ein leuchtender Markenname hätte werden sollen, steht heute zuallererst für fehlende öffentliche Legitimation und breiten Widerstand.

Und das soll auch so bleiben. Deswegen ist für uns die Eröffnung der „O2-World“ nicht in erster Linie eine bittere Niederlage, sondern mal wieder ein willkommener Anlass und eine prächtige Bühne, um unseren berechtigten Widerstand auf die Straße und vor‘s Buffet zu tragen. Und gleichzeitig eine gute Gelegenheit, an einem Kristallisationspunkt viele gesellschaftliche Probleme und Unverschämtheiten deutlich zu machen: Den Zusammenhang zwischen Stadtumstrukturierung und sozialer Ungerechtigkeit, zwischen der Durchsetzung von Kapitalinteressen und wachsenden gesellschaftlichen Ressentiments. Und: Konsequenter Widerstand kann neue Tendenzen setzen, kann Perspektiven eröffnen und die Scheiße zurückdrängen. Kämpfen wir gemeinsam gegen die „O2-World“ und das große Ganze, welches sie möglich gemacht hat. Nur so haben wir die Möglichkeit, Einfluss auf unser Leben zurückzugewinnen und den totalen Ausverkauf zu verhindern. – Our World is better than O2-World.

Nicht ohne mein Abendkleid

Die Eröffnung dieses Kotzbrockens von Halle betrifft viele Menschen. Daher denken wir, dass sich auch Alle eingeladen fühlen sollten. Neben äußerst erwünschten dezentralen Aktivitäten jeglicher Art soll eine nette Massenperformance für mehr Kratzer im Bild des Glamour-Ereignisses sorgen. Was nicht heißen soll, dass wir uns nicht schick machen würden: Wir werden in (gern queerer) Abendgarderobe gen Zeremonie schreiten. Nach der gemeinsamen Ankunft vor der O2-Arena wollen wir Kontakt zu den anderen geladenen VIPs aufnehmen, uns mit ihnen vermengen, um schließlich die Enteignung der Feier durch die massenhafte Teilnahme Aller zu zelebrieren.

Euer und Ihr

Spreebärchen

Spreebärchen

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2 Antworten zu “Was die O2 World für Spreebärchen bedeutet”

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